Ein Kreis und sein Mittelpunkt

Jahrzehntelang interessierte sich die Musikwelt nur für den Namensgeber des sogenannten „Brahms-Kreises“, der in erster Linie vom Bemühen seiner hochbegabten Zeitgenossen um musikalische Perfektionierung profitiert hatte. Die Cellistin Isabel Gehweiler und die Pianistin Fiona Hengartner entdecken nun aber auch im Umfeld des Verehrten großartige Werke.

Wenige Wochen vor dem Tod von Johannes Brahms (1833-97) gestand ihm Heinrich von Herzogenberg (1843-1900), dass er sich seit nunmehr 34 Jahren beim Komponieren die immergleiche Frage stelle: „Was wird Er dazu sagen?“ Der großgeschriebene „Er“ sei natürlich Brahms, der sich zum Leidwesen des Schreibers aber in Schweigen hülle: „Sie haben nun zwar seit längeren Jahren nichts dazu gesagt; was ich mir deuten mag, wie ich will. Meiner Verehrung für Sie hat es aber keinen Eintrag getan.“

Wie Herzogenberg ging es auch anderen Mitgliedern des Brahms-Kreises. Der Meister profitierte von Hinweisen, Ratschlägen und Multiplikationseffekten, doch die Verehrung und Förderung war zumeist eine Einbahnstraße, auf der sich auch die Musikgeschichte fortbewegte. Selbst eigenständige, vielseitige und experimentierfreudige Komponisten wie der bereits erwähnte Heinrich von Herzogenberg oder Julius Röntgen (1855-1932), der sich schließlich sogar im Bi- und Atonalen ausprobierte, erreichten nie die Popularität ihres Idols.

Das von Isabel Gehweiler und Fiona Hengartner mit Verve und Feingefühl eingespielte Album erklärt wenigstens zum Teil die Gründe, denn Brahms gelang auch auf dem Gebiet der von ihm kaum geliebten Cellosonate – nicht auf Anhieb, am Ende aber eben doch – so überzeugend Gültiges, dass niemand auf den Gedanken käme, den außergewöhnlichen Rang des 1871 uraufgeführten Werkes infrage zu stellen.

Melodischen Einfallsreichtum, überraschende Wendungen und ein tiefsinniges geistiges Gepräge zeichnen aber auch Heinrich von Herzogenbergs Mitte der 1880er Jahre komponierte Cellosonate aus. Interpretatorisch ist das knapp halbstündige, überaus komplexe Werk zudem eine echte Herausforderung. Gehweiler und Hengartner setzen hier ein potenzielles Repertoirestück in Szene, dem deutlich häufigere Aufführungen zu wünschen wären.

Die 1907 entstandene Sonate von Julius Röntgen, die der gefeierte Pianist für den Jahrhundertcellisten Pablo Casals schrieb, bildet einen launigen, wenn auch höchst anspruchsvollen und rhythmisch äußerst vertrackten Übergang zwischen Brahms und Herzogenberg. Der furiose Finalsatz, den Isabel Gehweiler und Fiona Hengartner – wie von Röntgen gefordert – „molto passionato e vivace“ präsentieren, veranschaulicht die Qualitäten des trotz wachsender Diskographie noch immer selten gespielten Komponisten besonders anschaulich.

„Lieber Freund …“. Sonaten von Brahms, Röntgen und von Herzogenberg, Claves