Bayerischer Demonstrant und preußischer Drachen

Teil 3 unserer „Drachen-Serie“ aus dem Archiv Historische Bildpostkarten führt uns mitten in den zwar humoristischen vorgetragenen, inhaltlich aber durchaus kompromisslosen Kulturkampf zwischen dem Königreich Bayern und dem, was die Süddeutschen als „überpreuss’sches Einheitsreich“ empfanden. Postwertzeichen spielten dabei eine besondere Rolle.

Nach 1871 konnte sich das Bundesland Bayern wegen seiner Größe und Bedeutung als Königreich bei der Reichseinigung einige Sonderkonditionen leisten und unter anderem die eigene Posthoheit und seine Briefmarken mit dem landeseigenen Wappen, der Krone und den beiden Löwen bis 1920 beibehalten. Im gesamten Deutschen Kaiserreich galten jedoch einheitlich die von der Deutschen Reichspost seit dem 1. Januar 1872 herausgebrachten neuen Postwertzeichen, die mit Bayerns Briefmarken konkurrierten.

Das gefiel vielen Bayern gar nicht. Der Sonderstatus, der auch andere technische und soziale Bereiche betraf, erschien manchen von ihnen nicht als Privileg, sondern als schwer zu akzeptierender‚ „fauler“ Kompromiss. Man fühlte sich nicht genug gewürdigt, war gekränkt und versuchte – etwa mit Hilfe des neuen Mediums der Bildpostkarte – die quälend empfundene preußische Vormachtstellung im Deutschen Kaiserreich ins Visier zu nehmen.

Davon kündet der „Seppl“ auf der vorliegenden, 1902 gelaufenen „Bayerischen Protestkarte“. Er warnt – zwar humoristisch übertrieben, aber doch nachdrücklich – vor dem „überpreuss’schen Einheitsreich“, das hier in Gestalt eines Drachens etliche bayerische Errungenschaften bedroht. Dieses Untier mit Namen „Gross-Preussen“ versucht mit aufgerissenem Maul und gefletschten Zähnen eine ‚brave‘, im Gleichschritt marschierende soldatische Einheit anzugreifen und womöglich hinunterzuwürgen. Diese hat offenbar die Aufgabe, eine 10-Pfennig-Marke mit dem Bayern-Wappen zu eskortieren und zu beschützen. Warum die Soldaten allerdings Pickelhauben tragen, die eher als Merkmal preußischer Militärherrschaft gelten, ist unklar.

Der glotzäugige Drache jedoch ist der Angreifer und eindeutig preußischen Ursprungs. Man hat ihm einen riesigen Helm mit Spitze zwischen die Ohren geklemmt, der unmissverständlich darauf hinweist. Die bedrohte bayerische Briefmarke mit ihrem weißen Prägedruck läuft auf Vogelfüßen, direkt in der Spur einer dampfenden Lokomotive, die – wie zu befürchten ist – ebenso wie alles andere im Rachen der Riesenechse landen wird. Der bayerische „Seppl“ im blauen Uniformrock und Tschako protestiert lautstark, d.h. mit einem Gedicht dagegen und hat sich dabei mit seinem Gewehr und der weiß-blauen Protestfahne zu imposanter Größe aufgerichtet. Er ist der Sprecher seines ‚Bayerlandes‘ und verbreitet die Befürchtung, „preussisch aufgefressen“ zu werden. Gefährdet sind seiner Auffassung nach nicht nur Heer, Post und Eisenbahn, sondern auch „Hax‘n“, Bier, „Weisswürscht“ und weitere schützenswerte bayerische Kulturgüter, wie oben auf der Karte zu lesen ist:

Wozu hab’n wir das Reservat
seit 70, für den Bayernstaat?
Das Heer, die Post u. Eisenbahn
will all’ der Preuss’ für sich noch hab’n.
Zuletzt käm’ dann, als höchster Streich,
das „überpreuss’sche Einheitsreich!“

Salvator, Hax’n, Weisswürscht, Bier,
das alles noch, verlieren wir, –
d’rum verzicht’n wir auf das „Preussenglück“
und zieh’n uns auf das Recht zurück,
weil 10 Mal lieber, wir „Allein“
als „preussisch aufgefressen“ sein!

Stets „weiss-blau“ sei u. bleib’ die Fahn’,
für Heer u. Post u. Eisenbahn!
Vivat Bayerland, dem geben wir Herz und Hand.