Beide prägten das preußische Musikleben, doch Carl Heinrich Graun (1704-59) war wohl noch ein wenig populärer als sein älterer Bruder Johann Gottlieb (1703-71). Auch auf dem hinreißenden Album, das die Sopranistin Isabel Schicketanz mit dem Ensemble „Der Musikalische Garten“ eingespielt hat, um gleich vier Weltersteinspielungen zu präsentieren, übernimmt der Hofkapellmeister die Hauptrolle.
Der Konzertmeister, der rund 40 Jahre in Diensten des preußischen Kronprinzen und späteren Königs Friedrich stand, ist gleichwohl mit zwei reizvollen Kompositionen vertreten. Wann genau Johann Gottlieb Graun die ebenso glanzvolle wie verspielte Ouvertüre D-Dur und die der Empfindsamkeit nahestehende Triosonate c-moll komponiert hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Beide Werke zeigen allerdings, dass er mit allen Finessen höfischer Kunstmusik und den Fähigkeiten der von ihm angeleiteten rund 40 Instrumentalisten gut vertraut war.
Sein jüngerer Bruder galt nicht nur als hochbegabter Komponist, sondern auch als herausragender Sänger, der das Publikum mit seiner hohen Tenorstimme zu fesseln verstand. Gut möglich also, dass er die drei hier vorgestellten Kantaten auch selbst gesungen hat. Die affektgeladenen, opernhaften Monologe „Hat die Schönheit kein Erbarmen“ und „Sacra ad amore“ schwanken zwischen melancholischen Liebesklagen und euphorischer (Natur)Begeisterung, während „Non portò Febo mai“ einen Blick in Kleopatras Pläne zur Eroberung Antonios gestattet.

Schönheit in ihren unterschiedlichen Darstellungen und Ausdrucksformen spielt in den Kantaten eine zentrale Rolle. Sie prägt auch die Interpretation von Isabel Schicketanz, die mit ihrer klaren, wunderbar temperierten, gleichermaßen auf Text und Musik konzentrierten Sopranstimme fesselnde Miniaturszenen und Stimmungsbilder entstehen lässt. Dass nicht nur die „kleinen Boote des Vergnügens“, die in „Sacra ad amore“ durch die Kanäle von Kythera und Pafos segeln, im Kopfkino lebendig werden, ist freilich auch der kongenialen Begleitung zu verdanken.
Mit zwei Violinen, Viola, Violoncello und Cembalo entwirft „Der Musikalische Garten“ ein dynamisch aufgeladenes, aber feinziseliertes Klanggewand, das dem Hörer einen faszinierenden Eindruck von der musikalischen Praxis des 18. Jahrhunderts vermittelt.
„Der letzte Mund voll Süße“. Weltliche Kantaten und Instrumentalmusik von Carl Heinrich Graun und Johann Gottlieb Graun, Coviello Classics


