Die Freiheit der Formen

Nach der Vollendung von Opern oder Oratorien wandte sich der Schweizer Komponist Frank Martin oft kleineren Formaten zu. Ein „ästhetischer Akt der Befreiung“, dem gleich mehrere Meisterwerke ihre Entstehung verdankten. Bartłomiej Nizioł und das von Philippe Bach geleitete Württembergische Kammerorchester Heilbronn haben drei von ihnen neu eingespielt.

Nur die Instrumentalmusik habe ihm das Gefühl der Freiheit wiedergeben können, schrieb Martin nach der Beendigung seines opulenten Oratoriums „Golgatha“ und konzipierte 1949 ein raffiniertes, mit barocken Vorbildern spielendes „Concerto grosso“ für sieben Blasinstrumente, Pauken, Schlagzeug und Streichorchester. Überbordende Spielfreude trifft hier auf Formbewusstsein und handwerkliche Meisterschaft. In Martins brillanter, feinsinniger Orchestrierung entsteht ein quirliger Dialog zwischen immer neuen Solisten und einer sich ständig verändernden Instrumentengruppe.

Mitte der 1950er Jahre erholte sich Frank Martin dann von der jahrelangen Arbeit an seiner Shakespare-Oper „Der Sturm“, indem er fünf Etüden für Streichorchester zu Papier brachte. Mit akademischen, tendenziell trockenen Übungsstücken hat dieses Quintett allerdings nichts zu tun, auch wenn sich der Komponist angesichts der Besetzung „zu einem sehr streng polyphonen, ja zeitweise sogar fugierten Stil“ geradezu genötigt fühlte. Ausgerechnet die Etüde „pour le jeu fugué“ weitet sich zu einem hymnischen Choral und verdient damit wohl die musikalisch-gesellschaftliche Botschaft, die ihr Booklet-Autorin Graziella Contratto mit folgendem Martin-Zitat zuordnet:

Jeder muss in jedem Moment seinen richtigen Platz finden, ob herausragend oder bescheiden, und sich sowohl durchsetzen als auch zurücknehmen können, ohne dabei den expressiven und rhythmischen Charakter seines Parts zu verlieren.

Dem reaktionsschnellen, hervorragend disponierten Württembergischen Kammerorchester Heilbronn gelingt das perfekt – und auch das dritte Werk erfährt auf diesem mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ ausgezeichneten Album eine erstklassige Umsetzung. „Polyptyque“ wurde 1973, ein Jahr vor dem Tod des Komponisten, uraufgeführt und darf wohl als Seitenstück zu Martins 1971/72 entstandenem „Requiem“ gelten.

Die sechs Sätze sind nach Szenen aus Passionsbildern des italienischen Malers Duccio di Buoninsegna (um 1255-1318/19) benannt, unternehmen aber nicht den Versuch, das Gesehene unmittelbar in Musik umzusetzen. Martin erzählt vielmehr eine Geschichte der emotionalen Wirkungen, in der die Solovioline (mit stupender Technik und lyrischer Emphase: Bartłomiej Nizioł) das Leiden Jesu nachzeichnet, während die beiden Streichorchester die Stimmungslagen der Jünger und des Volkes repräsentieren.

Frank Martin: Concerto pour 7 instruments à vent / Etudes / Polyptyque, Schweizer Fonogramm