Eine Komponistin, zwei Perspektiven

Manche Zeitgenossen mochten nicht glauben, dass ihre Werke tatsächlich von einer Frau stammten, die Nachwelt vergaß sie gleich ganz. Doch seit einiger Zeit ist das Interesse an Mel Bonis wiedererwacht. In diesem Herbst erscheinen gleich zwei CDs mit Werken der französischen Komponistin.

Die Eltern ließen sie widerwillig eine Zeitlang Musik studieren, doch eine Komponistenkarriere, wie sie für ähnlich begabte Männer selbstverständlich war, kam für Mélanie Bonis Ende des 19. Jahrhunderts nicht infrage. Sie heiratete den für sie vorgesehenen, 22 Jahre älteren Mann, bekam fünf Stief- und drei eigene Kinder – und später eine Tochter mit dem heimlichen Geliebten, die erst im Alter von 20 Jahren erfuhr, dass die Patin eigentlich ihre Mutter war.

Doch die Musik spielte weiter eine zentrale Rolle in Mel Bonis´ Leben. Sie komponierte, fand Verleger, Interpreten und Bewunderer, deren Lob freilich auch die Vorurteile ihrer Zeit spiegelte. „Ich hätte nie geglaubt, dass eine Frau so etwas schreiben kann. Sie kennt alle Tricks des kompositorischen Handwerks“, meinte der Kollege Camille Saint-Saëns, als er ihr erstes Klavierquartett gehört hatte.

Mel Bonis´ Oeuvre umfasst vor allem Klavier- und Kammermusik, aber auch Orgel, Vokal- und Orchesterwerke und führt von der französischen Romantik zu einer sehr eigenen Spielart des Impressionismus. Beide Neuerscheinungen zeichnen diesen Weg nach, Myriam Barbaux-Cohen führt uns sogar chronologisch vom 1884 entstandenen Walzer „Etiolles“ bis zu ausgewählten „Pièces pittoresques et poétiques“ aus den 1920er Jahren.

Diana Sahakyan legt den Schwerpunkt dagegen auf den faszinierenden Zyklus „Femmes de légende“, dessen Entstehungsraum fast fünf Jahrzehnte umfasste. Melisande, Desdemona, Ophelia, Viviane, Phoebé, Salome und Omphale dienten Mel Bonis als Vorlage für sieben Charakterstücke, die unterschiedlichste Gestaltungsmöglichkeiten für die literarischen und mythologischen Entwürfe weiblicher Existenz ausloten.

Sechs Klavierstücke finden sich auf beiden CDs und lassen somit einen direkten Vergleich zu. Sahakyan geht durchweg mit mehr Kraft und höherem Tempo zu Werke. Die spieltechnische Herausforderung steht deutlicher im Fokus als bei Myriam Barbaux-Cohen, die ganz auf Klangmagie, feinste dynamische Abstufungen und eine organische Entwicklung setzt. Doch letztendlich mag und muss man sich nicht zwischen den beiden Interpretationsansätzen entscheiden. Viel wichtiger ist, dass einer bemerkenswerten Komponistin endlich die verdiente Aufmerksamkeit zuteil wird – und das auch noch aus unterschiedlichen Perspektiven.

Mel Bonis: Femmes des Légende – Œuvre pour piano, Diana Sahakyan, Kaleidos

Mel Bonis: Klavierwerke, Myriam Barbaux-Cohen, Ars Produktion