Amerikanische Kammermusik eines passionierten Böhmen

Seit rund drei Jahrzehnten steht das Mandelring Quartett für maßstabsetzende Aufnahmen des großen Repertoires von Beethoven und Schubert über Mendelssohn und Brahms bis Bartók oder Schostakowitsch. Die neueste, einmal mehr grandiose Einspielung ist der Kammermusik gewidmet, die Antonín Dvořák in den USA bzw. unter dem Eindruck seines Amerika-Aufenthalts schuf.

„Die Amerikaner erwarten große Dinge von mir, vor allem soll ich ihnen den Weg ins gelobte Land und in das Reich der neuen, selbstständigen Kunst weisen, kurz, eine nationale Musik schaffen.“ Antonín Dvořák hatte gezögert, das üppig dotierte Amt des Direktors des New Yorker National Conservatory of Music anzutreten. Nicht nur, weil er den Teil der Familie, der zunächst im alten Europa bleiben musste, nebst der gewohnten und geliebten Umgebung vermissen würde, sondern wohl auch, weil er noch nicht wusste, wie er dem Erwartungsdruck der Gastgeber gerecht werden sollte.

Die Bedenken erwiesen sich schnell als unbegründet. Antonín Dvořák wurde als Musiker und Hochschullehrer auf Händen getragen und erschloss sich sowohl im großstädtischen New York als auch während des Sommerurlaubs im idyllischen Spillville/Iowa eine Fülle neuer Inspirationsquellen. Neben der weltberühmten 9. Symphonie „Aus der neuen Welt“ entstand in den USA herausragende Kammermusik wie das in nur drei Tagen entworfene sogenannte „amerikanische“ Streichquartett und das brillante Streichquintett Nr.3 Es-Dur op.97.

Beide Werke markierten bedeutende Stationen auf dem Weg zu einer nationalen Musik Amerikas (mit böhmischer Begleitung) – allerdings nicht, indem sie traditionelle Melodien verarbeiteten. Antonín Dvořák kreierte stets eigene Themen, die er mit den Besonderheiten indianischer Musik – der klaren, plastischen Form, der Vorliebe für Pentatonik und punktierte Rhythmen – ausstattete, um sie dann mit allen Errungenschaften eines modernen Ensemble- oder Orchesterinstrumentariums weiterzuentwickeln. Der Eindruck des „american spirit“ war so tief und nachhaltig, dass er bis in die 1894 im heimischen Vysoká komponierten „Humoresken“ nachwirkte, die in einer feinsinnigen Bearbeitung für Streichquartett von Matthias Eichhorn ebenfalls auf dem Album zu hören sind.

Das Mandelring Quartett, das im Streichquintett Unterstützung von einem ehemaligen Mitglied, dem Bratschisten Roland Glassl, erhielt, sah sich im Vorfeld dieser Einspielung vermutlich nicht mit ganz so großen Erwartungen konfrontiert wie der vor gut 130 Jahren nach Amerika reisende Böhme. Doch immerhin existiert, abgesehen von der hier erstmals eingespielten Quartett-Fassung der „Humoresken“, bereits eine umfangreiche Diskographie zu Dvořáks amerikanischer Kammermusik. Sebastian und Nanette Schmidt (Violine), Andreas Willwohl (Viola) und Bernhard Schmidt (Violoncello) gelingt es gleichwohl, den Zauber des gänzlich Unerwarteten und neu Erschaffenen wieder entstehen zu lassen, beginnend mit den wundervoll inszenierten Eingangstakten des Quartetts, welche die Wellen des Turkey River zu Füßen des nicht angelnden, sondern immer nur komponierenden Dvořák zu spiegeln scheinen. Das klangvolle, rhythmisch und dynamische ausgefeilte Spiel dieser Formation lädt zu vielfachem Wiederhören ein – auch und gerade diejenigen, welche die Stücke gut zu kennen glauben.

Antonín Dvořák: Streichquartett Nr.12 F-Dur op.96, Streichquintett Nr.3 Es-Dur op.97, Humoresken op. 101 (arrangiert für Streichquartett), audite