Antisemitische Pädagogik

Braune Relikte (15): Das Bilderbuch „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid!“

Antisemitismus wurde Menschen im NS-Staat bereits von klein auf vermittelt. Ganz dezidiert wurde davor gewarnt, sich menschlich auf „den Juden“ einzulassen. Indem der Kontakt zwischen Menschen bewusst verhindert wird, wird auch die Möglichkeit eingeschränkt, durch eigenes Erleben Stereotype und soziale Stigmatisierungen zu entlarven und das Gegenüber als Mensch ‚wie du und ich‘ wahrzunehmen.

1940 schenkte „Onkel Gustav“ der „kleinen Lana Müller aus Osnabrück zur Erinnerung an ihren Ferienaufenthalt in Stettin 1940“ ein Bilderbuch. Seine handschriftliche Widmung klingt nach freien Tagen, an denen ein kleines Mädchen bei seinen Verwandten eine schöne, angenehme Zeit verbracht hat; Tage, an die man sich gerne erinnern möchte. Dafür gibt es vom Onkel noch ein Geschenk mit auf den Heimweg. Bei dem Erinnerungsstück handelt es sich allerdings nicht um ein harmloses Kinderbuch. Das „Bilderbuch für Groß und Klein von Elvira Bauer“ ist vielmehr ein antisemitisches Pamphlet der übelsten Sorte. Die Autorin und Zeichnerin, Theodolinde Elvira Bauer (1915–nach 1943), war Kindergärtnerin in Nürnberg und beabsichtigte mit ihrer einzigen bekannten Veröffentlichung, schon kleinen Kindern parallel zum Lesenlernen die völkische Rassenideologie des Nationalsozialismus zu vermitteln.

Das Bilderbuch wurde zunächst von mehreren Verlagen abgelehnt, u.a. vom Franz Eher-Verlag der NSDAP. Auch der NS-Lehrerbund blieb zurückhaltend. Dennoch waren die ca. 100.000 gedruckten Exemplare in Vorschulen und Kindergärten durchaus verbreitet. Verlegt wurde es in sieben Auflagen vom Stürmer-Verlag in Nürnberg. Dieser gehörte Julius Streicher (1885–1946). Der gelernte Volksschullehrer und Gründer der antisemitischen Wochenzeitung „Der Stürmer“ (1923) hatte am Hitlerputsch teilgenommen und war 1924 vom Schuldienst suspendiert worden. 1933 leitete er das „Zentralkomitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze“, das den Judenboykott vom 1. April 1933 organisierte. Der NSDAP-Gauleiter von Franken wurde im Zuge des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses zum Tode verurteilt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet. Das Buch würdigt ihn als „Kämpfer“, der dafür sorgt, „daß kerngesund bleibt unser Land | Und frei von jüdischem Bestand!“

Bauers Reime und Zeichnungen fallen durch ihren besonders aggressiven Antisemitismus auf. Der Titel adaptiert Martin Luthers Schrift „Von den Juden und i[h]ren Lügen“ von 1543: „Trau keinem Wolf auf wilder Heiden, Auch keinem Juden auf seine Eiden“. Durch ihre stereotypisierende Überzeichnung entwirft Elvira Bauer ein negatives Bild des „Juden“, dem als Ideal „Des Führers Jugend“ gegenübergestellt wird. Der kontrastierende Stil wirkt heute plump, wenn es z.B. heißt: „Der Deutsche ist ein stolzer Mann, | Der arbeiten und kämpfen kann. | Weil er so schön ist und voll Mut, | Haßt ihn von jeher schon der Jud! | Dies ist der Jud, | Das sieht man gleich, | Der größte Schuft im ganzen Reich! | Er meint, daß er der Schönste sei, | Und ist so häßlich doch dabei.“

Die einzelnen Szenen beschreiben den parallel stattfindenden sozialen Ausschluss der jüdischen Bevölkerung und legitimieren denselben vor den lesenden Kindern durch das scheinbar Humoristische der Schwarz-Weiß-Karikaturen. Das Buch schließt programmatisch mit der pejorativen Darstellung eines Juden in einem Davidstern und dem Text „Ohne Lösung der Judenfrage | keine Erlösung der Menschheit“. Es verweist damit auf die politische Dimension der von Antisemit*innen gewünschten Ausgrenzung jüdischer Menschen, die mit dem Nationalsozialismus in der „Endlösung der Judenfrage“ endete – und damit im Holocaust.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.