Viele Museen und ihre Sammlungen haben schon einige Jahre oder auch Jahrzehnte auf dem Buckel. Im Verlauf verändern sich Räume, Dauer- und Sonderausstellungen wechseln, didaktische Konzepte wandeln sich, ebenso die Art und Weise der Ausstellungsinszenierung.
Wer sich für die Anfänge einer Museumssammlung interessiert, steht zunächst vor allerlei Fragen. Wie ist die Sammlung entstanden? Wer hat die Objekte zusammengetragen? Gibt es alte Inventarlisten oder Zugangsbücher, in denen die Bestände dokumentiert worden sind? Wie sah die damalige Ausstellungspräsentation aus? Vor diesen und ähnlichen Herausforderungen stand die Autorin, als die Anfrage für ein neues Ausstellungsprojekt an sie herangetragen wurde. Den Weg zu einigen Antworten verfolgen wir am Beispiel einer Urne mit der Inventarnummer 525.
Da das heutige „Museum im Kloster“ im niedersächsischen Bersenbrück im Jahr 2024 sein 100-jähriges Bestehen feiert, sollte eine Sonderausstellung zu den archäologischen Anfängen des damaligen Bersenbrücker Kreismuseums das Jubiläum einleiten. Die Museums- und Sammlungsgeschichte begann mit Landrat Dr. Hermann Rothert, der 1924 das Kreismuseum gründete. Er beschäftigte sich im Laufe seiner Dienstzeit in Bersenbrück (1911-33) intensiv mit der regionalen Geschichte und verstand sich selbst als Heimatforscher. Auch die systematische Untersuchung archäologischer Fundstätten im damaligen Kreisgebiet war ihm ein wichtiges Anliegen. Er sammelte begeistert Altertümer wie z.B. zahlreiche Steinbeile und Urnen, die den Grundstock des späteren Museumsinventars bildeten.
Neben Beschreibungen der Ausstellungsräume haben sich einige Fotos von den Museumsstücken erhalten. Von der archäologischen Abteilung bzw. den Objekten existieren leider nur wenige Aufnahmen. Eine alte Fotografie zeigt Urnenfunde aus der Bersenbrücker Umgebung (Ortschaften Bockraden, Döthen und Ueffeln), wie sie in den 1930er Jahren im Kreismuseum zu sehen waren. Daran knüpften sich folgende Überlegungen an: Können die darauf abgebildeten Urnen und Beigefäße eindeutig identifiziert werden bzw. lässt sich mit Hilfe einer historischen Aufnahme die damalige Ausstellungsinszenierung zumindest in Teilen rekonstruieren?
Wertvolle Hinweise liefern Fundzeichnungen des Archäologen Rolf Gensen (1927-2010). Der vormalige Landrat Rothert beauftragte ihn 1954 mit der Inventarisation des Fundmaterials aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit im Kreismuseum Bersenbrück. Diese Zusammenarbeit verlief allerdings nicht ganz unproblematisch. Dennoch promovierte Gensen 1961 über „Die Vor- und Frühgeschichte des Kreises Bersenbrück“. Dafür beschrieb und zeichnete er u.a. auch die Tongefäße aus Bockraden, Döthen und Ueffeln, die als Tafeln seiner Dissertation beigefügt wurden. Mittels dieser Zeichnungen, alter Fundmeldungen und Grabungsdokumentationen gelang es, die einzelnen Urnen und Beigefäße zu bestimmen, den jeweiligen Inventarnummern zuzuordnen und somit wieder zugänglich zu machen.
Bei der Recherche kam ein weiterer interessanter Fund zum Vorschein. Eine der auf dem Foto abgebildeten und im Fundarchiv der Osnabrücker Archäologie wiederentdeckten Urnen enthält eine handgeschriebene Notiz, die etwas über die Objektgeschichte verrät:
Urnenfund von Bockraden. Gehört der jüngeren Bronzezeit an. Ausgegraben im Februar 1914 zusammen mit dem Museum Hannover auf dem Heideteil des Neubauers Gerling in Bockraden.
Dieses Tongefäß stammt also aus Bockraden. Bei der Fundstelle nahe Eggermühlen handelt es sich um ein ehemaliges Grabhügelfeld der späten Bronze- und frühen Eisenzeit (ca. 1200 bis 500 v. Chr.). Erste Ausgrabungen führten zwischen 1850 und 1870 zunächst Johann Heinrich Bernard Hartmann und sein Sohn Hermann sowie Leopold von Ledebur durch. Weitere Funde kamen im Herbst 1913 bei Kultivierungsarbeiten zu Tage. Dazu berichtete das Bersenbrücker Kreisblatt am 18. Oktober:
Neubauer Gerling brachte beim Kultivieren verschiedene Urnen zu Tage, die aber leider alle bis auf eine zerbrochen waren. (…) Da die einzelnen Gefäße weit auseinanderliegend aufgefunden wurden, so darf wohl zu erwarten sein, daß bei weiteren Nachgrabungen noch allerhand Altertümer vorgefunden werden.
Diese Entdeckung bot Anlass für erneute archäologische Grabungen, die Karl Hermann Jacob-Friesen, Landesarchäologe und Direktor des Provinzialmuseums Hannover (später: Niedersächsisches Landesmuseum), leitete. Dabei posierten im Februar 1914 hinter den freigelegten Urnen u.a. die beiden Bauern Theodor und Wilhelm Gerling, auf deren Grundstück die Gefäße gefunden worden waren. Die ausgegrabenen Exemplare wurden später vom Bersenbrücker Museum übernommen. Alle archäologischen Objekte werden heutzutage nicht mehr im Museum, sondern im Fundarchiv der Stadt- und Kreisarchäologie in Osnabrück verwahrt, da der Altkreis Bersenbrück seit Anfang der 1970er Jahre die nördliche Hälfte des Landkreises Osnabrück bildet.
So zeigen Archivunterlagen, Fundmeldungen, Zeichnungen oder ein alter Notizzettel, welch spannende Geschichten sich hinter einer alten Fotografie oder einer einzelnen Urne verbergen können.