Auf der Spur der Wölfe

Im 19. Jahrhundert wurden die Wölfe in Deutschland ausgerottet. Doch vor zwei Jahrzehnten sind sie in ihre ehemalige Heimat zurückgekehrt, im Jahr 2000 gab es den ersten Nachwuchs. Zunächst wurden sie in der Lausitz ansässig, inzwischen suchen sie auch vermehrt im Rest von Deutschland nach Lebensraum. Nach wie vor löst die Rückkehr Kontroversen aus. Während für die einen die Stärkung des Ökosystems und der Biodiversität im Blickpunkt steht, äußern andere Menschen Ängste vor dem Wildtier.

Mit einem neuen Buch möchte der Zoologe, Tierfotograf, Autor und Filmemacher Axel Gomille, der u.a. für ZDF, BBC Wildlife, GEO International und Science Illustrated arbeitet, zu einer möglichst konfliktarmen Nachbarschaft von Menschen und Wölfen beitragen. Es richtet sich gezielt an Kinder und Jugendliche, also an die Menschen, welche die Gesellschaft von morgen gestalten.

Kulturabdruck: Sie sind studierter Zoologe. Wie sind Sie zur Tierfotografie gekommen?

Axel Gomille: Tiere fand ich schon als Kind faszinierend. Als 7-Jähriger habe ich mir ein Fernglas gewünscht, um wilde Tiere beobachten zu können. Dann wollte ich diese Begegnungen und Erlebnisse für mich konservieren, erneut erlebbar machen. Mit 14 habe ich angefangen zu fotografieren, mit 15 habe ich mein erstes Foto verkauft, um mir dieses Hobby zu finanzieren. Später kam das Schreiben hinzu und schließlich habe ich das Ganze professionalisiert. Es ist toll, dass ich meine Leidenschaft zu meinem Beruf machen konnte.

Wer kommt auf wen zu?

Kulturabdruck: Sie kommen den Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum mitunter sehr nah. Welches Erlebnis haben sie als ganz besonders empfunden?

Axel Gomille: Es gibt sehr viele wunderbare Erlebnisse. Grundsätzlich ist es so, dass ich mich nicht den Wölfen annähere, die Wölfe nähern sich mir an. Es ist eine große Herausforderung, beinahe ein Ritterschlag, diese scheuen Tiere vor die Kamera zu bekommen.
Eine meiner Sternstunden als Tierfotograf habe ich erlebt, als das Foto entstanden ist, das auf dem Cover meines neuen Wolfsbuchs zu sehen ist. Ein junger Wolf hat mich gar nicht bemerkt und kam mir sehr nah, wodurch mir sehr seltene Aufnahmen gelungen sind.

Jungtiere am Waldrand (Sachsen-Anhalt)

Kulturabdruck: Vor welche Risiken und Herausforderungen stellt Sie die Fotografie von Wildtieren?

Axel Gomille: Mit Fleischfressern wie beispielsweise Wölfen habe ich noch nie gefährliche Situationen erlebt. Am kritischsten sind die großen Pflanzenfresser. Diese Tiere sind tonnenschwer. Es kann schnell zu gefährlichen Begegnungen kommen, wenn die Tiere unruhig werden. Flusspferde können sehr gefährlich werden – und Elefanten.

Auf einem Elefantenrücken habe ich eine recht kritische Situation erlebt. Der Elefant wurde von einem Elefantenführer, einem Mahut, geleitet und wir sind in eine Herde wilder Elefanten geraten. Ich war als Fotograf völlig fasziniert und habe die Situation falsch eingeschätzt. Der Mahut hatte Schweißperlen auf der Stirn. Wir mussten so schnell wie möglich raus aus dieser Gefahrensituation, das war schon ziemlich abenteuerlich.

Kulturabdruck: Warum Wölfe, was fasziniert Sie an diesem Tier?

Axel Gomille: Als die Wölfe das letzte Mal in Deutschland unterwegs waren, gab es noch keine Fotografie. Die Nachfrage nach Bildmaterial aus Deutschland war also groß. Es bestand sozusagen eine Marktlücke, da die Rückkehr der Wölfe viele Menschen interessiert. Ich war einer der ersten, der sich mit dem Thema fotografisch auseinandergesetzt haben. So entstand 2016 mein erstes Wolfsbuch für Erwachsene: „Deutschlands wilde Wölfe“. Wölfe haben ein unglaublich gut funktionierendes Sozialleben, was mich absolut fasziniert. Sie leben in einem Familienverbund, einem Rudel und arbeiten im Team zusammen.

Ein selbstverständlicher Teil unserer Natur

Kulturabdruck: Sie haben kürzlich in Zusammenarbeit mit dem KOSMOS-Verlag ein neues Buch veröffentlicht. Warum adressieren Sie es vorrangig an Kinder?

Axel Gomille: Es findet derzeit ein Generationenwechsel statt. Die letzten vier bis fünf Generationen haben sich die Menschen daran gewöhnt, dass die Wölfe weg waren. Manche Menschen empfinden es daher als Rückschritt, dass der Wolf nun wieder heimisch wird. Aber einige Kinder wachsen bereits in dem Bewusstsein auf, dass der Wolf einfach zur heimischen Tierwelt dazugehört.

Für viele Kinder und Jugendliche in der Lausitz ist es völlig normal, in Westdeutschland wird es noch dauern, bis Wölfe als selbstverständlicher Teil unserer Natur betrachtet werden. Ich möchte dazu beitragen, dass die Kinder gar nicht erst das negative Image kennenlernen, das historisch gewachsen ist. Das Pendel sollte gar nicht in die negative Richtung ausschlagen.

Kulturabdruck: Inwiefern sehen sich als Botschafter für Biodiversität beziehungsweise als Artenschützer?

Axel Gomille: Ich setze mich dafür ein, dass Menschen und Wildtiere co-existieren können. Das mache ich, indem ich Probleme anspreche, aber auch Lösungen aufzeige. Hierfür veröffentliche ich Zeitschriftenartikel, Bücher, bin als Filmemacher unterwegs und halte Vorträge. Aber letztlich geht es um mehr, als um den Erhalt einzelner Tierarten – auch wenn sich das nicht sofort erschließt.

Wenn etwa der Äthiopische Wolf aussterben würde, wäre das in einzelnen Regionen beispielsweise erstmal nicht zu bemerken. Aber es wäre ein Zeichen dafür, dass das Ökosystem nicht mehr intakt ist. Auf die Leistungen unserer Ökosysteme, die uns saubere Luft, frisches Wasser und fruchtbare Böden liefern, sind wir aber angewiesen. Artenschutz hat eine große Auswirkung auf unsere Zukunft. Die Zusammenhänge sind global. Mit meiner Arbeit versuche ich, dafür zu sensibilisieren.

Kulturabdruck: Was braucht es, um Akzeptanz für die Rückkehr der Wildtiere zu erreichen?

Axel Gomille: Sachliche Aufklärung darüber, ob Ängste begründet sind oder nicht und wie man damit umgehen kann. Einige Menschen sind durch die Rückkehr der Wölfe verunsichert. Diese Ängste und Sorgen muss man ernst nehmen. Ein gesunder Wolf mit normalem Verhalten beispielsweise ist ungefährlich für Menschen. Bei einem tollwütigen sähe das anders aus, aber Deutschland gilt als frei von Tollwut.

Vielen Menschen hierzulande fehlt Erfahrung mit Wildtieren. Wölfe versuchen Begegnungen mit Menschen zu vermeiden und in den meisten Fällen gelingt ihnen das auch, weil sie bessere Sinne haben als wir. Letztlich werden aber viele Menschen die Erfahrung machen, dass die Anwesenheit von Wölfen ihren Alltag kaum betrifft – und dann legt sich auch die Aufregung wieder. Letztlich kann die Faszination für solche Tiere sogar ein Wirtschaftsfaktor werden. In der Lausitz und in Niedersachsen gibt es bereits Wolfstourismus.

Kulturabdruck: Betreiben wir in Deutschland genügend Aufklärungsarbeit, was die Co-Existenz von Wölfen und Menschen betrifft?

Axel Gomille: Das Angebot ist gut, aber es erreicht nicht alle. Daher darf man nicht müde werden, immer wieder die gleichen Dinge zu vermitteln. Wichtig ist es, beispielsweise auf die Erfahrungen aus der Lausitz zu verweisen, wo die Nachbarschaft zwischen Menschen und Wölfen meistens gut funktioniert. Für gewöhnlich beschäftigen sich die Menschen erst mit bestimmten Themen, wenn sie direkt betroffen sind.

Leider entsteht hier oft ein verzerrtes Bild. Wölfe ernähren sich zu rund 99 Prozent von Wildtieren. Aber nur das eine Prozent, bei dem meist ungeschützte Nutztiere gerissen wurden, erscheint als Meldung in den Medien. Inzwischen gibt es auch viele Förderprogramme, damit Nutztierhalter ihre Herden vor Wolfsangriffen schützen können. Doch leider werden diese Angebote nicht immer wahrgenommen.

Axel Gomille: Wölfe. Unterwegs mit dem Tierfotografen Axel Gomille, KOSMOS Verlag 2021, ab 8 Jahre, 16 €.