Auf zu neuen und alten Ufern

Wiesbaden, Berlin, New York, New Jersey, Köln: An diesen Schauplätzen ereignen sich im Jahr 1937 dramatische Entwicklungen rund um Gereon und Charlotte Rath, Fritze Thormann und ihre Bekannten, Freunde und Feinde. Mit seinem neuen Roman „Transatlantik“ hat der Autor Volker Kutscher den 9. Teil seiner Gereon-Rath-Reihe vorgelegt.

Deutschland wird zunehmend vom Nazi-Regime und dessen Gedankengut durchdrungen. Die ersten Vorbereitungen für einen Krieg werden initiiert. Verbote, Erlasse, Umstrukturierungen in Verwaltungsapparaten und die Errichtung von „Schutzhaftlagern“ für politisch unliebsame Personen geben einen Vorgeschmack auf das, was folgen wird. Charly wähnte sich längst im sicheren Ausland, doch das Schicksal ihres ehemaligen Pflegesohnes hält sie in ihrer bisherigen Heimat. Erschwerend kommt hinzu, dass ihre beste Freundin Greta nicht nur verschwunden, sondern Hauptverdächtige in einem Mordfall an einem SS-Offizier ist.

Gereon gilt offiziell als tot. Inoffiziell suchen allerdings diverse Personen nach ihm, um sicherzustellen, dass er tatsächlich ablebt. Gereon tritt seine Reise über den Atlantik an, um sich ein neues Leben unter falscher Identität aufzubauen. In den USA wiederum kommt es zu unerwarteten Verwicklungen unter den Exil-Gangstern, die ihre Geschäfte von Berlin hierher verlagert haben. Fritze erfährt, wer sein leiblicher Vater ist, und erlebt persönliche Verluste.

Ein schöner Kunstgriff ist es, dass Volker Kutscher immer wieder den Bogen zu den Anfängen der Gereon-Rath-Reihe schlägt. Als Lesende treffen wir auf eine Vielzahl alter Bekannte. Einige haben offene Rechnungen miteinander und versuchen, diese auf die ein oder andere Art zu begleichen. Einige Protagonisten gehen gestärkt hieraus hervor, andere überleben es nicht. Vermeintliche Vertrauenspersonen erweisen sich als Spitzel. Im Gegenzug leben verloren geglaubte Freundschaften wieder auf, angesichts der sich zuspitzenden Situation in Deutschland.

Die Handlung ist hervorragend in historische Gegebenheiten eingebettet, das Setting detailverliebt ausgearbeitet. Dramaturgische Spitzen sind gekonnt verteilt, ohne inflationär zu wirken. Ganz im Gegenteil: Transatlantik ist ein atmosphärisch dichter Kriminalroman mit einem ansprechend strukturierten Plot. Zwei Kritikpunkte gibt es dennoch. So geschieht auf den ersten 150 Seiten kaum etwas, das den Status Quo des Romananfangs verändert. Dies ist aus der Buchreihe um Gereon Rath aber bereits bekannt. Denn ähnlich verhielt es sich auch bei vorherigen Büchern dieser Reihe.

Da die Handlung in „Transatlantik“ nach dieser ersten Durststrecke zum wahren Pageturner avanciert, ist dies aber zu vernachlässigen. Ein zweiter Punkt, der beim Lesen ein wenig aufstößt, ist die Tatsache, dass die Handlung mit einer Entscheidung einer der Hauprotagonisten endet, die zwar nachvollziehbar ist, aber unfassbar naiv wirkt. Aber vielleicht ist genau dies eine der Stärken der Reihe: Die Charaktere werden durchweg menschlich gezeichnet. Mit Ecken und Kanten, Spleens und Eigenheiten, persönlichen Höhen, Tiefen – und gelegentlichen Fehlentscheidungen, die aus Sentimentalitäten oder Rachegelüsten heraus getroffen werden.

Summa summarum macht auch dieser neunte Teil ohne Frage Lust auf mehr.

Volker Kutscher: Transatlantik. Der neunte Rath-Roman, Piper 2022, 26 €