1750 wurde Georg Friedrich Händels Oratorium „Theodora“ in London uraufgeführt. 272 Jahre später kehrte das Märtyrerdrama, das auch als Ideensammlung zum Recht auf Widerstand gelesen werden kann, in einer Aufsehen erregenden Inszenierung von Katie Mitchell nach Covent Garden zurück.
„They are not Cæsar’s friends, who own not Cæsar’s gods!” Schon der römische Statthalter Valens kennt die Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Diktatur. Wer seine politischen Gegner und das eigene Volk lückenlos und dauerhaft beherrschen will, darf sich nicht allein auf die physische Unterdrückung beschränken. Sie ist gleichwohl ein probates Mittel, wenn alle Mittel ideologischer, medialer oder emotionaler Vereinnahmung versagen.
In Antiochia wird die (vorwiegend weibliche) Opposition, die sich der Staatsreligion verweigert, in die Prostitution gezwungen und zum Tode verurteilt – das christliche Märtyrerdrama ist damit zu Ende erzählt. Doch bei Katie Mitchell geht die Geschichte noch lange weiter. Die britische Regisseurin ermächtigt die Christen zum gewaltsamen Widerstand gegen ein frauen- und insgesamt menschenverachtendes System brutaler Willkürherrschaft. Noch vor dem Gottesdienst bauen die designierten Märtyrer Sprengsätze zusammen und verteilen Handfeuerwaffen – sehr bald wird Valens feststellen, dass hier niemand mehr bereit ist, sich still und verängstigt in die bereitgehaltene Opferrolle zu fügen …
Mitchells erfindungsreiche und detailgenaue Personenführung verliert Händels brillante Partitur trotz der klaren politischen Positionierung nie aus den Augen. Ihre Bühnen- und Kostümbildnerinnen Chloe Lamford und Sussie Juhlin-Wallén lassen die Revolutionäre derweil in einem schmucklosen 60er Jahre-Ambiente gegen die Unterdrücker, gegen Angst und Verzweiflung und gegen die eigenen, tiefgreifenden Skrupel kämpfen.
Dass zwischen furnierten Holzwänden, roten Plüschsesseln, Küchen- und Kühlräumen viele eindrucksvolle Bilder und Charakterporträts entstehen, ist selbstredend auch dem hochkarätig besetzen Ensemble zu verdanken. Neben den stimmlich und darstellerisch herausragenden Hauptdarstellerinnen Julia Bullock (Theodora) und Joyce DiDonato (Irene) überzeugen der junge Countertenor Jakub Józef Orlinski (Didymus), Ed Lyon, der über den hin- und hergerissenen Septimus moralisches Zwielicht streut und Gyula Orendt (Valens), dessen Bariton Schmelz und Härte für die Darstellung des boshaften Gegenspielers mitbringt.
Für die instrumentale Begleitung sorgt das trotz Theodora-Abstinenz absolut Händel-affine Orchestra of the Royal Opera House unter der spannungsgeladenen Leitung von Harry Bicket. Für die Einstudierung des Royal Opera Chorus zeichnet William Spaulding verantwortlich.
Georg Friedrich Händel: Theodora, DVD oder Blu-ray, Opus Arte