Ausbruch statt Aufbruch

Zeit seines Lebens versuchte er, aus dem Schatten Giacomo Puccinis zu treten. Es gelang ihm nur für eine Opernstunde. Mit Ausnahme des „Bajazzo“ verschwand Ruggero Leoncavallos Gesamtwerk in der Versenkung. Doch Wiederbelebungsversuche gibt es erfreulicherweise immer wieder. 2020 holte das Theater an der Wien „Zazà“ zurück auf die Bühne – in einer schnörkellosen Inszenierung von Christof Loy.

Die Geschichte ist alltäglich und wirkt vielleicht gerade deshalb auf der Opernbühne so besonders. Die gefeierte Varietésängerin Zazà verliebt sich in den weltgewandten Milio Dufresne und träumt von einer durch und durch bürgerlichen Existenz, die mit der alleinerziehenden, trinkfesten Mutter nie möglich war. Doch Milio führt bereits ein solches Leben, allerdings mit einer anderen Frau und der gemeinsamen Tochter. Als Zazà den Betrug entdeckt und obendrein erkennt, dass ihr Geliebter niemals den Mut hätte, mit ihr einen Neuanfang zu wagen, trennt sie sich von Milio.

Schon das erste große Duett ist von Zweifeln durchsetzt und auch in den folgenden drei Akten lassen Leoncavallo und sein Co-Textdichter Carlo Zangarini wenig Euphorie aufkommen. Milio weiß schließlich, dass ihre Zeit begrenzt ist, Zazà beginnt es schnell zu ahnen und so ist der Wirbel, den Sänger, Schauspieler und andere Theaterleute, der Ex-Geliebte Cascart, die Freundin Natalia, Zazàs Mutter und Milios Tochter veranstalten, fast so etwas wie eine willkommene Abwechslung, in jedem Fall aber geeignet, ein letales Opernende zu vermeiden.

Leoncavallo nutzt den Alltagstrubel, um den veristischen Handwerkskasten, den wahrlich nicht nur Puccini meisterhaft beherrschte, experimentell zu erweitern. So wird vor allem der 1. Akt zu einer reizvollen Collage ganz unterschiedlicher musikalischer Elemente, während der letzte in einem Duett gipfelt, in dem Liebe, Hass, Wut und Verzweiflung auf unentwirrbare Art durcheinander geraten.

Christof Loy verzichtet auf szenische Ablenkungsmanöver und plumpe Pychologisierungen und setzt stattdessen auf eine präzise Personenführung. Mit Raimund Orfeo Voigt (Bühne) und Herbert Barz-Murauer (Kostüme) platziert er die traurige Geschichte in einem 50er Jahre- Ambiente, dessen Trostlosigkeit durch die Drehbühne in immer neuen Perspektiven erscheint.

Svetlana Aksenova (Zazà) und Nikolai Schukoff (Milio) überzeugen stimmlich nicht auf ganzer Linie, aber über sehr weite Strecken, während Christopher Maltman (Cascart) und Enkelejda Shkosa (Mutter Anaide) ihre vergleichsweise kleineren Rollen überzeugend profilieren.

Für die Mailänder Uraufführung im Jahr 1900 zeichnete kein Geringerer als Arturo Toscanini verantwortlich. 120 Jahre später spornt Stefan Soltész das ORF Radio-Symphonieorchester Wien zu einer rundum gelungenen Darbietung an.

Ruggero Leoncavallo: Zazà, DVD/Blue-ray, Unitel Edition