Dass Riccardo Zandonais „Francesca da Rimini” viel zu selten auf den Bühnen zu sehen ist, bewies Christof Loy 2021 mit einer vielschichtigen Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin. Auch der Mitschnitt der gefeierten Produktion ist absolut sehenswert.
Von den hypernervösen Eingangstakten bis zu den zerstörerischen Schlussakkorden nimmt Zandonais bekannteste Oper eine besondere Stellung in der Musikgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts ein. Zwischen veristischen Erfolgsmodellen, den Klangkaskaden eines Richard Strauss und den Rhythmen einer noch avancierteren Moderne fand er einen höchst originellen Weg, die Tragödie des nicht minder eigenwilligen Gabriele D’Annunzio in Töne zu setzen.
Bemerkenswert ist dabei die beklemmende Dichte der Partitur, die – parallel zum seelischen oder moralischen Zerfall der Hauptfiguren – eine unwiderstehliche und im wahrsten Sinne des Wortes pausenlose Sogwirkung entfaltet. Selbst über schaukelnden Frühlingsliedern liegt der Schatten der nahenden Katastrophe, die unabwendbar ist, seit die heruntergekommene Sippe der Polenta sich mit der verschlagenen Dynastie der Malatesta verbündet hat, um eine ahnungslose junge Frau ins Unglück zu stürzen.
Dass Francesca nicht den liebenswerten Brautwerber Paolo, sondern dessen verunstalteten, kaltherzigen Bruder Giovanni, genannt Gianciotto, heiraten soll und obendrein den Nachstellungen des sadistischen Malatestino ausgesetzt ist, wird ihr erst bewusst, als es bereits zu spät ist. Doch ihre Betrüger sind ebenso gefangen. Aus echten Gefühlen und falschen Versprechungen strickt Francesca ein Netz, aus dem es kein Entrinnen gibt. „Nimm meine Seele und gieße sie aus“, beschwört sie Paolo wenige Momente vor Gianciottos tödlichen Dolchstößen – ein wahrhaft seltsames Liebesgeständnis, das zwischen Erfüllung und Zerstörung nicht mehr zu unterscheiden weiß.
Loy inszeniert – im dekadenten Oberklassen-Ambiente von Bühnenbildner Johannes Leiacker – die ursprünglich im 13. Jahrhundert angesiedelte Geschichte als Polit- und Familiendrama, in dem Gewalt die vorherrschende Rolle spielt. Jederzeit und ohne Vorwarnung kann Frieden in Krieg, Liebe in Hass und familiäre Eintracht in Missgunst und Brutalität umschlagen. Francesca ist nicht nur Opfer, sondern durchaus Teil des Geschehens und findet in der großartig singenden und spielenden Sara Jakubiak eine bewegende, immer wieder überraschende Idealbesetzung.
Mit tenoraler Wucht und Strahlkraft greift Jonathan Tetelman (Paolo) ins Geschehen ein. Ivan Inverardi gibt einen sonoren Gianciotto, während Charles Workmans Malatestino etwas mehr Druck und Schärfe zu wünschen gewesen wäre. Dirigent Carlo Rizzi entwirft eine spannungsgeladene Kulisse, wird mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin aber selten zum Motor der Ereignisse.
Riccardo Zandonai: Francesca da Rimini, DVD/Blue-Ray, Naxos