Dem Jubiläum „375 Jahre Westfälischer Frieden“ widmen sich im Jahr 2023 zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen. Aber kann dieses Thema überhaupt aktuell sein, selbst wenn das Ereignis so weit weg erscheint? Und wie lässt sich grundsätzlich an ein solch komplexes Themenfeld herangehen? Die Vorstellung einer Zeitreise in die Vergangenheit mag verlockend klingen, ist aber gar nicht so einfach umzusetzen.
Osnabrück und Münster verstehen sich heutzutage als Friedensstädte. In Erinnerung an den bedeutenden Friedensschluss von 1648 wurden beide Rathäuser im Jahr 2015 mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet, da sie als Orte die Geschichte und Entwicklung Europas besonders geprägt haben. Was ist sonst noch vom Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und Westfälischen Frieden übriggeblieben? Einige Redewendungen und Sprichwörter aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wie beispielsweise „Alter Schwede“, „von der Pike auf lernen“ oder „Lunte riechen“ haben sich in unserem heutigen Sprachgebrauch erhalten.
Durchstreift man die Stadt Osnabrück, lässt sich Weiteres zu diesem Thema entdecken. Die Bezeichnung „Schwedenstraße“ weist auf die Besatzung Osnabrücks 1633 durch schwedische Truppen hin. Auch das jährlich stattfindende „Steckenpferdreiten“ der 4. Klassen erinnert an die berittenen Boten, sogenannte „Friedensreiter“, die das Ende des Krieges in verschiedenen Städten verkündeten. Der Steckenpferdreiter-Brunnen, der beim Bau der Osnabrücker Stadthalle 1980 vor dem Gebäude aufgestellt wurde, stammt vom Bildhauer Hans Gerd Ruwe. 2015 wurde die Brunnenanlage dann an die Katharinenkirche verlegt. Ein Ampelmännchen als Steckenpferdreiter befindet seit Oktober 2020 an der Kreuzung Alte Münze/Kamp.
Archäologische und archivische Entdeckungen
Wichtige Geschehnisse und Ergebnisse des 17. Jahrhunderts lassen sich teils sehr detailliert rekonstruieren, gelegentlich allerdings nur grob skizzieren. Doch was wissen wir Genaues über die Menschen, die den Krieg und Frieden unmittelbar miterlebt haben? Waren sie direkt oder nur indirekt betroffen? Wie wirkte sich das Kriegsgeschehen und der langwierige Friedensprozess auf ihren Alltag aus? All diese Fragen lassen sich nicht vollumfänglich beantworten. Hinterlassenschaften der materiellen Sachkultur wie archäologische Funde und Archivalien vermitteln zwar noch kein Lebensgefühl, es kann aber zumindest eine Annährung gelingen. Einzelne Personen, die während des 17. Jahrhunderts im Osnabrücker Land lebten, lassen sich in den historischen Quellen nachweisen. Begeben wir uns also gemeinsam auf die Suche nach Ereignissen und Personen, deren Spuren teilweise bis heute sichtbar sind.
Belagerung der Festung Fürstenau
In der Stadt Fürstenau, gelegen im Osnabrücker Nordkreis, haben seit den 1970er Jahren mehrere archäologische Untersuchungen rund um die alte Burganlage stattgefunden. Hier, im Schloss Fürstenau, sitzt heutzutage die Verwaltung von Stadt und Samtgemeinde Fürstenau. Bei Ausgrabungsarbeiten in den 1980er Jahren sind an der Befestigungsanlage, genauer an der Nordbastion, zahlreiche Stein- und Eisenkugeln gefunden worden. Diese Kanonen- und Musketenkugeln aus dem 17. Jahrhundert wurden eventuell bei der Belagerung und Eroberung der Festung in Fürstenau im Jahr 1647 verwendet.
Zu dieser Zeit war Kobolt von Tambach, damaliger Drost von Fürstenau, als Hauptmann zugleich für die Verteidigung der Stadt verantwortlich. Allerdings war es kaum möglich, die Festung mit ausreichend Munition und Vorräten zu versorgen. So waren schon für 1644 nur noch folgende Lagerbestände aufgelistet: etwa 2.300 kg Pulver, 1.600 kg Blei und Gewehrkugeln, 1.900 kg Lunten, 301 Kanonenkugeln und einige Granaten, 470 kg Pech, ca. 55 Tonnen Roggen und Mehl, sowie Bier und knapp 18 Tonnen Salz.
Nachdem bereits 1626 bis 1628 dänische Truppen die Stadt besetzt hatten, wurde Fürstenau 1647 von schwedischen Truppen unter Generalleutnant Hans Christoph von Königsmarck und Generalmajor Friedrich Christoph von Hammerstein belagert. Die Übergabeverhandlungen scheiterten, nach 14 Tagen gingen die Lebensmittel- und Munitionsvorräte zur Neige und die Soldaten verweigerten angesichts der aussichtslosen Lage ihrem Kommandanten Kobolt von Tambach den Befehl. Fürstenau fiel schließlich an die Schweden. Erhalten hat sich dazu die Korrespondenz zwischen Kolbolt von Tambach und dem Osnabrücker Fürstbischof Franz Wilhelm von Wartenberg, wo sich jener Hauptmann wegen der Niederlage und Übergabe der Festung rechtfertigen musste.
Schreibkalender aus Bad Essen
Ganz anders erging es Clamor Eberhard von dem Bussche zu Hünnefeld. Er war ein Landadeliger aus Bad Essen, der seine Geschäfte und sein Privatleben in einer Art von Tagebüchern festhielt. Die Überlieferung dieser sogenannten Schreibkalender ist ein Glücksfall, 20 Exemplare sind als Bestandteil des Gutsarchivs der Familie von dem Bussche-Hünnefeld im Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Osnabrück (NLA OS) deponiert. Mit Lücken umfassen die Kalender den Zeitraum von 1627 bis 1665. Clamor Eberhards Aufzeichnungen ermöglichen persönliche Einblicke in den Alltag eines Osnabrücker Landadeligen im 17. Jahrhundert. Sie offenbaren auch ein weitreichendes Geflecht an engen familiären und freundschaftlichen Beziehungen.
Selbst zu Kriegszeiten unternahm er ausgedehnte Geschäftsreisen und Verwandtenbesuche. Dank seiner guten wirtschaftlichen Lage erweiterte er seinen Besitz stetig und wurde mit der Zeit ein gefragter Geldgeber. Er verlieh Kredite an die Stadt Osnabrück, den Osnabrücker Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg und trat auch als Gläubiger auf. Ebenso spielten die politischen und militärischen Ereignisse in der Region, im Reich und in Europa eine wichtige Rolle. Clamor Eberhard berichtete auch über den Friedenskongress. Als Mitglied der Ritterschaft war er unmittelbar am Schicksal des Hochstifts interessiert. Zwar nahm er nicht direkt an den Verhandlungen teil, traf aber mehrfach die schwedischen Gesandten Johann Axelsson Oxenstierna und Johan Adler Salvius. Das historische Ereignis kommentierte er 1648 mit den Worten: „Friedenslus zu Osnabruck mit grossem triumpf publiciret unndt proclamirt word[den].“ (NLA OS Dep 24b)
Alltagskultur der ländlichen Bevölkerung
Adelige und Angehörige des Klerus bildeten die gesellschaftliche und politische Elite der Zeit. Als privilegierter Herrschaftsstand und Träger der Gerichtsbarkeit haben sich zahlreiche schriftliche Zeugnisse ihres Wirkens erhalten. Hingegen sind Einzelschicksale der einfachen Bevölkerung wenig überliefert. Als wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft haben sie dennoch Objekte hinterlassen. Bei archäologischen Ausgrabungen finden sich recht häufig Fragmente von Tonpfeifen. Mit der Entdeckung Kubas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492 begann die Geschichte des Tabaks auch in Europa. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts setzte er sich als Genussmittel in Frankreich und England durch. Erst mit den herumziehenden Söldnerheeren während des Dreißigjährigen Krieges verbreitete sich der Tabakgenuss deutschlandweit in allen Teilen der Gesellschaft.
Die in Osnabrück gefundenen Tonpfeifen stammen hauptsächlich aus dem niederländischen Produktionszentrum Gouda. Im 17. Jahrhundert war es üblich, die Fersenmarke am Pfeifenkopf mit einem Stempel zu versehen. Die Verzierungen mit Buchstaben oder Motiven stehen dabei für die jeweilige Pfeifenbäckerei.
Viele Menschen lebten in der Frühen Neuzeit am Existenzminimum, Ressourcenknappheit prägte ihren Alltag. Einigermaßen gute Ernten waren lebens- und überlebenswichtig, wobei die klimatischen und ökonomischen Rahmenbedingungen äußerst schwierig waren. Zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert gab es wiederholt Phasen mit sehr kalten, langen Wintern und regnerischen, kühlen Sommern. Dieser Abschnitt wird auch als „kleine Eiszeit“ bezeichnet. Das Klima verschlechterte sich rapide, das Wetter wurde noch unbeständiger und stabilisiert sich erst in den 1630er Jahren auf einem weiterhin sehr kühlen Niveau. Erst gegen 1700 setzte eine langsame Erholung ein. Gründe für diese Klimaschwankungen waren eine zeitweilig geringere Aktivität der Sonne und mehrere Vulkanausbrüche, deren Asche- und Gaswolken die Atmosphäre beeinträchtigten.
Die Wirtschaftskrise im 17. Jahrhundert hatte weitreichende soziale Folgen, die durch den Dreißigjährigen Krieg noch verstärkt wurden. Die Abwärtsspirale aus Plünderungen und Gewalttaten, Armut und Hungersnot, katastrophalen hygienischen Zuständen, die Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen wie z.B. Tuberkulose, Cholera, Typhus und Pest ließen sich kaum aufhalten. Die Unbarmherzigkeit des Alltags betraf (fast) alle Bevölkerungsgruppen, egal auf welcher politischen Seite diese standen. Die Bevölkerung war wiederholt Überfällen ausgesetzt, Berichte von Plünderungen, Ausbeutungen und Verwüstungen waren alltäglich. Die Versorgungslast der Söldnerheere trug hauptsächlich die einfache Bevölkerung. Die an den Marschrouten gelegenen Dörfer und Städte mussten die Soldaten und den dazugehörigen Tross versorgen. 1623 lagerte Herzog Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel drei Tage auf der Iburg im Osnabrücker Südkreis. Die Bevölkerung der Kirchspiele Dissen, Hilter, Glane, Laer und Glandorf mussten 20.000 Pfund Brot, 400 Bierfässer und 50 Wagenladungen Hafer an die durchziehende Truppe abgeben und waren damit fast aller ihrer Vorräte beraubt.
Lebensbilder zu Krieg und Frieden
Die vorgestellten Archivalien und archäologischen Funde sind Bestandteil der Sonderausstellung „LebensBilder aus der Zeit vom Dreißigjährigen Krieg und Westfälischen Frieden“, die im Jahr 2023 durch den Landkreis Osnabrück wandern. Zur Sonderausstellung ist ein Begleitheft erschienen, das auf der Website des Museums unter ➤ www.museum-im-kloster.de/publikationen heruntergeladen werden kann. Gedruckte Exemplare können ebenfalls beim Museum im Kloster Bersenbrück angefordert werden, solange der Vorrat reicht.