Die letzte Folge unserer kleinen Reihe über Aufstieg und Fall der Hohenzollern aus dem Archiv Historische Bildpostkarten zeigt uns Kronprinz Wilhelm nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Der abgedankte Thronfolger lebt auf der niederländischen Insel Wieringen und spielt seinem Hund die „Wacht am Rhein“ vor. Offenbar zu dessen Leidwesen …
Da sitzt er nun, Kronprinz Wilhelm, Thronfolger des Deutschen Reiches, vormals Hoffnungsträger national empfindender Bürger, in einer öden Landschaft und betätigt mit grotesk ausgestreckten Armen ein Bandoneon, aus dem tropfenförmige Noten der „Wacht am Rhein“ in die Höhe schießen. Was ist im „December 1918“ geschehen?
Der Erste Weltkrieg ist verloren, der Kaiser abgesetzt. Wilhelm II. musste – wie Kurt Tucholski und Hans Eisler es in ihrem Lied „Die weinenden Hohenzollern“ eher amüsiert ausdrücken – „töff, töff, töff nach Holland“ fliehen, andernfalls hätte man ihn als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen. Der Sohn, Kronprinz Wilhelm, kann ebenfalls in den neutralen Niederlanden bleiben und landet, wie man sieht, auf der Insel Wieringen, die er zu seinem Ärger bis November 1923 nicht verlassen darf. Auf dieses kleine Fleckchen Erde hat ihn die Landesregierung interniert und ihm ein alleinstehendes, älteres Bauernhaus zugewiesen, das im Hintergrund des Bildes sichtbar ist. Geselliger Besuch und Abwechslung sind da nur sehr eingeschränkt möglich. Es ist nichts los auf Wieringen, das 1918 noch eine recht ungastliche Insel ist. Fahrten in seines Vaters Exil Haus Doorn in der Provinz Utrecht, oder in nahe niederländische Städte sind selten, der Kronprinz sieht also täglich nur flaches Land, den Deich und dahinter die See.
Seine Welt schrumpft, und Holland wird zum betrauerten „Moll-Land“, wie Tucholsky schreibt. Musik und Text der alten „Wacht am Rhein“, zu Kaisers Zeiten noch Krönung und Abschluss zahlreicher Nationalfeiern, sind ihm im angegebenen Jahr offenbar ein Trost. Am 1. Dezember 1918 war er gezwungen, formell auf den deutschen Kaiserthron zu verzichten. Da sind Tränen wohl angebracht, die – stellvertretend für den Kronprinzen – der spitznasige magere Hund im Übermaß vergießt. Das Herrchen konzentriert sich bei seinem ungemütlichen Sitz auf dem eigentlich fürs Einzäunen von Schafen reservierten Holzgatter mehr auf das Bandoneonspiel. Vielleicht heult ja der Hund auch deswegen.
Jedoch: Hier ist alles zum Weinen! Auch die äußere Erscheinung des Mannes hat erkennbar gelitten. Man hat ihn mit einem apfelgrünen Fantasie-Jackett ausgestattet, auf dessen hohem Kragen der kleine Kopf mit der farblich passenden, allzu weiten Militärmütze thront. Das Eiserne Kreuz schmückt die Heldenbrust. Dazu wollen allerdings die bequemen gemusterten Stoffhosen und die groben Holzpantinen so gar nicht passen. Sie sind seinem jetzigen ländlichen Aufenthalt geschuldet.
Dieses ist nun das zur Satire verkleinerte Ende der Dynastie der preußischen Hohenzollern, beziehungsweise der nicht unoriginelle niederländische Nachruf auf sie.