Bachs Rivalen

Kaum zu glauben, aber historisch verbürgt: Als sich Johann Sebastian Bach um das Amt des Leipziger Thomaskantors bewarb, fand der Stadtrat einige seiner Konkurrenten deutlich geeigneter. Fast 300 Jahre später nehmen Stefan Temmingh und das Capricornus Consort Basel das kuriose Bewerbungsverfahren zum Anlass für ein musikalisches Feuerwerk.

Als der Leipziger Thomaskantor und städtische Musikdirektor im Juni 1722 starb, hatten seine Vorgesetzten klare Vorstellungen, wer Johann Kuhnau in diesem hochangesehenen Amt folgen könnte. Eine mindestens nationale Berühmtheit sollte es schon sein und da Georg Friedrich Händel in England weilte, fiel der erste Blick auf Georg Philipp Telemann. Der gefragte Komponist brachte nicht nur herausragende Qualifikationen, sondern auch eine Leipziger Vergangenheit mit – wie übrigens auch die beiden anderen Favoriten Johann Friedrich Fasch und Christoph Graupner.

Telemann gefiel das Angebot offenbar, doch seine Hamburger Arbeitgeber wollten ihn auf keinen Fall ziehen lassen. Mit einer deutlichen Erhöhung seiner Bezüge überredeten sie den gebürtigen Magdeburger, nicht noch einmal die Elbmetropole zu wechseln. Der ebenfalls umworbene Fasch hatte inzwischen eine Stelle als Hofkapellmeister in Zerbst angenommen. Blieb noch Graupner, den sein Dienstherr aber ebenfalls unbedingt halten wollte. So machte der Fall Telemann schnell Schule: Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt gewährte Christoph Graupner eine Erhöhung des ohnehin staatlichen Salärs – und sein Hofkapellmeister blieb an Ort und Stelle.

Der Leipziger Bewerbungskommission blieb nur noch eine sinnvolle Alternative. „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man den mittleren nehmen“, stellte Ratsherr Abraham Christoph Plaz fest. Wie historische Quellen berichten  (➤ Bach-Archiv Leipzig), votierte sein Kollege Steger „gleichfalls uf Bachen, und hätte er solche Compositiones zu machen, die nicht theatralisch wären“. Am 1. Juni 1723 trat Johann Sebastian Bach, der im Gegensatz zu seinen Konkurrenten bekanntlich kein Opernkomponist war, die neue Stelle an. Es sollte Leipzig nicht zum Nachteil gereichen …

Allein die Idee, unter dem Stichwort „Leipzig 1723“ Werke der ehemaligen Konkurrenten auf einer CD zu versammeln, verdient einen Punkt für Originalität. Doch der südafrikanische Blockflötist Stefan Temmingh, der seit 2019 eine Professur an der Freiburger Hochschule für Musik innehat, weiß aus der virtuellen Begegnung der Meister auch künstlerisch Kapital zu schlagen.

Die Flötenkonzerte von Graupner, Fasch und Telemann, Bach 4. Brandenburgisches Konzert in der Bearbeitung als Cembalokonzert sowie Faschs Streichersonate in d-moll und Telemanns Quartett in g-moll spielen Temmingh und das glänzend aufgelegte Capricornus Consort Basel mit Verve, Eleganz und einem satten Nachklang barocker Lebensfreude.

Wir fragen ausdrücklich nicht, welchen Komponisten das heutige Publikum zum Sieger dieses virtuellen Wettbewerbs erklären würde. Schließlich haben alle vier einen entscheidenden Anteil an diesem funkensprühenden, atemberaubend virtuosen Konzert.

Leipzig 1723 – Bach und seine Rivalen um das Amt des Thomaskantors, Blockflötenkonzerte von Bach, Telemann, Graupner & Fasch, Temmingh/Capricornus Consort Basel, Accent