Begegnung mit Rubinstein

Er war einer der berühmtesten Klaviervirtuosen seiner Zeit, hätte aber wohl gern auf einen Teil dieser Popularität verzichtet, wenn dafür dem Komponisten Rubinstein mehr Anerkennung zuteil geworden wäre. Die ukrainisch-amerikanische Pianistin Anna Shelest widmet sich dem Teil seines umfangreichen Werks, in dem er beide Passionen ausleben konnte. Nach einer ersten CD mit dem 4. Klavierkonzert und der Capricce Russe liegen nun die Klavierkonzerte Nr.3 (1853/54) und 5 (1874) auf Tonträger vor.

Beide Werke sind wahre Freudenfeste für Klaviervirtuosen, denen technisch alles abverlangt wird, was das 19. Jahrhundert an pianistischen Herausforderungen zu bieten hatte. Der exorbitante Schwierigkeitsgrad vermittelt eine Ahnung von den außergewöhnlichen Fähigkeiten, die dem Klavierspieler Rubinstein zu Gebote standen und den Komponisten Rubinstein unbedenklich in die Vollen greifen ließen lassen. Die beiden langsamen Sätze, das Andante des 3. und das Moderato des 4. Konzerts, bilden in der Mitte all der artistischen Wirbel, Sprünge und Läufe, die um sie herumtoben, folgerichtig nicht nur ein Kontrastprogramm, sondern – bei aller gediegenen Gestaltung – auch eine kleine Erholungspause.

Mit wie viel Kraft, Elan und Feingefühl Anna Shelest und das hochromantisch gestimmte Estonian National Symphony Orchestra unter Altmeister Neeme Järvi die großen Gesten in Szene setzen, dann eine vorüberschwebende Miniatur zum Leuchten bringen und sich an anderer Stelle in ein hauchzartes Pianissimo zurückziehen, verdient wohl nicht weniger Beifall als dem gefeierten Tastenlöwen vor anderthalb Jahrhunderten gespendet wurde. Die Fülle der noblen Themen, die abwechslungsreiche Textur der ausufernden Kopf- und Schlusssätze – das Allegro moderato des 5. Konzerts dauert allein rund 20 Minuten – und eine Reihe raffinierter Klangwirkungen unterstreichen die Bedeutung dieser selten zu hörenden Musik.

Dass sich die Konzerte nicht an der Seite der Meisterwerke von Brahms oder Tschaikowski behaupten konnten und nie so populär wurden wie die a-moll-Klassiker von Grieg und Schumann, bleibt deshalb trotzdem verständlich. Dem immer unter Zeitdruck stehenden Rubinstein fehlte es nicht an Eingebungen. Doch in der kompositorischen Umsetzung verlor „Van II“, wie er wegen seiner beethovenschen Physiognomie und Statur genannt wurde, ab und an den Faden, zerschnitt Spannungsbögen zugunsten artistischer Einlagen, begnügte sich bei der Orchestrierung mit naheliegenden Lösungen, und fand bei Echoeffekten, die ihm gefielen, nicht immer ein dramaturgisch sinnvolles Ende.

Für Freunde hochromantischer klavier- und Orchestermusik ist die Aufnahme gleichwohl mit Nachdruck zu empfehlen.

Anton Rubinstein, Klavierkonzerte Nr. 3 G-Dur und Nr.5 Es-Dur, Music & Arts