Braune Relikte 33: Gitter einer Arrestzelle.
Am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation (offiziell 7.-9. Mai), lag das „Großdeutsche Reich“ am Boden. Erst 1985, 40 Jahre später, fand die Tatsache, dass dieser Tag keine Niederlage, sondern ein „Tag der Befreiung war“, in der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vor dem Deutschen Bundestag zum 8. Mai seine offizielle Anerkennung. Mitte 1945 jubelten in Deutschland die wenigsten.
Zu denjenigen, die die deutsche Niederlage begrüßten, weil es für sie die Niederlage des Nationalsozialismus war, gehörten neben den Überlebenden des Holocaust auch die politisch oder aus anderen Gründen Verfolgten des Naziregimes, also alle diejenigen, die nicht zur nationalsozialistisch definierten „Volksgemeinschaft“ gehört hatten.
Für die Osnabrücker Bevölkerung war der Krieg bereits Anfang April 1945 beendet. Zwischen dem 1. und 4. April besetzten anglo-kanadische Truppen unter Brigadier Murray aus südwestlicher Richtung kommend die Stadt. Bei Tecklenburg fanden längere Zeit Kampfhandlungen mit einer unbekannten Zahl von Toten statt. Am 4. April wurde Osnabrück offiziell übergeben. In der Villa Schlikker, dem verwaisten Sitz der NSDAP, sowie in einigen Gebäuden an der Bergstraße wurde die britische Militärverwaltung eingerichtet.
Erster Stadtkommandant mit Sitz in der Bergstr. 3 war Major Geoffrey Herbert Day. Sein offen zur Schau gestellter „Deutschenhass“ erscheint in der Rückschau typisch für die auf Befehl eingenommene, distanzierte Haltung zu Deutschen. Ob aus Überzeugung oder zur Abschreckung – er teilte seinen Besucherinnen und Besuchern angeblich über ein aufgestelltes Schild mit: „I hate Germans/ich hasse Deutsche“. Im Gespräch mit Kommunalpolitikern war Major Day aber kooperativ.
In den ersten Monaten wurden die allgemein gültigen „Nicht-Fraternisierungs-Vorschriften“ streng eingehalten. Sie regelten den Umgang der britischen Soldaten mit der Zivilbevölkerung. Doch die im Dienstalltag notwendigen Kontakte ließen Verbote von Privatgesprächen, Hausbesuchen oder Händeschütteln absurd erscheinen. Zur Kontaktpflege zwischen Britischer Armee und Bevölkerung wurde später sogar ein Verbindungsoffizier eingesetzt. Die örtlichen Militärkasernen wurden vom britischen Militär besetzt bzw. übergangsweise zur ersten Unterbringung der DP’s benutzt. Dazu gehörte auch die 1937/38 am Westerberg entstandene Scharnhorst-Kaserne. Wie die Winkelhausen-Kaserne war ihr Bau Teil der deutschen Remilitarisierung während der NS-Zeit gewesen. Nach 1945 nutzte sie die britische Armee als „Belfast-Barracks“. Als die Briten an den Gittern der Arrrestzellen Hakenkreuze entdeckten, wurden diese pragmatisch mit Blechen verkleidet.
Mit Inkrafttreten der Pariser Verträge (Truppenvertrag mit Beitritt der BRD zur WEU und NATO vom Oktober 1954) am 5. Mai 1955 endete in Westdeutschland das Besatzungsstatut. Die Hakenkreuze aus der ehemaligen Scharnhorst-Kaserne waren da vermutlich bereits aus dem Bewusstsein verschwunden. Erst Jahrzehnte später, nachdem die Kaserne am 8. Oktober 2008 geräumt worden war, wurden sie zufällig beim Abbruch des Arrestgebäudes wiederentdeckt.
Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.