Beschaulicher Anfang

Wer den Komponisten Friedrich Schneider (1786-1853) neu entdecken will, hat viel zu tun. Der Herzoglich-Anhalt-Dessauische Hofkapellmeister schrieb Lieder, Kammermusik, Konzerte, Ouvertüren, Messen, 23 Sinfonien, ein halbes Dutzend Opern und 16 Oratorien, die zu seinem Markenzeichen wurden. Sein größter Erfolg zu Lebzeiten, das schillernde Endzeitgemälde „Das Weltgericht“, wurde vor wenigen Jahren vom GewandhausChor Leipzig und der Camerata Lipsiensis eingespielt. Nun liegt auch „Christus das Kind“ erstmals auf CD vor.

Das rund 80-minütige Werk, das 1829 in Dessau uraufgeführt wurde, sollte der Auftakt zu einer Christus-Tetralogie werden, deren zweiten Teil „Christus der Meister“ Schneider bereits im April 1828 vorgestellt hatte. 1840 folgte „Christus der Erlöser“, der Abschluss „Christus der Verherrlichte“ wurde nicht mehr realisiert.

Der Text, den Philipp Mayer „nach Worten der Heiligen Schrift“ zusammenstellte, zeichnet einen bunten Bilderbogen, der durch Betrachtungen und Anrufungen pointiert wird. Die Erzählung reicht von der Verkündigung und Geburt Christi über die Huldigung durch die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland bis zur Flucht nach Ägypten und der Rückkehr nach Israel, die in einer Beschwörung des siegreichen Friedensfürsten gipfelt. Schneider zielt bei der Vertonung nicht auf eine tiefgründige, theologisch-philosophisch Ausdeutung, sondern auf die emotionale Ansprache, der sein Publikum, glaubt man zeitgenössischen Rezensionen, auch diesmal willig folgte.

Heraus kommt Musik zum täglichen Gebrauch, die auch Laien eine Brücke in die Welt der Sakralmusik baut. Der „schöne liebliche Gesang“, den schon Zeitgenossen rühmten, trägt leicht über anderthalb Stunden, Schneiders Melodien sind beschaulich, ecken- und kantenlos, aber durchaus zu dramatischen Steigerungen fähig. Chorsänger und Solisten können sich immer auf die stützende Begleitung des Orchesters verlassen und atmosphärische musikgeschichtliche Anleihen, die oft spielerisch und beinahe zufällig anmuten, gibt es inklusive.

Kein Grund also für die herablassende Einschätzung mancher Kritiker, denn das alles ist schließlich eher dazu angetan, Menschen für die Musik und das Musizieren zu begeistern. Schwerer wiegen da grundlegende Einwände, wie sie Richard Wagner – mitten im 19. Jahrhundert! – formulierte, als er eine „offenbare Verkennung der Gegenwart“ diagnostizierte, „wenn einer jetzt Oratorien schreibt, an deren Gehalt und Form keiner mehr glaubt“. Damit wären wir dann bei genau dem Diskurs, dem sich Friedrich Schneider durch Wohlklang entzogen hat. Spannend wäre eine solche Debatte und sie würde wohl auch nur strengste Wagnerianer daran hindern, die vorliegende Aufnahme mit Genuss zu hören und sich zu freuen, wenn auch die beiden anderen Teile wieder zur Aufführung kommen.

Auf der Weltersteinspielung des ersten Parts bewältigt die Kantorei Barmen-Gemarke mit Gästen und Mitgliedern des Jungen Kammerchores Köln einen voluminösen Part – der Chor dominiert weit mehr als die Hälfte des 26 Gesangsnummern. Das Sinfonieorchester Wuppertal unter Alexander Lüken ist dem Ensemble sowie den Solisten Dorothea Brandt, Elvira Bill, Santiago Sánchez und Christoph Scheeben ein engagierter und verlässlicher Partner.

Friedrich Schneider: Christus das Kind, Ars Produktion