Am 13. Juli 1870 erhielt Otto von Bismarck ein Schreiben aus dem Kurort Bad Ems. Der preußische Ministerpräsident ließ es in gekürzter Form veröffentlichen – offenkundig mit der Absicht, die französische Regierung zu provozieren und einen schwerwiegenden Eklat auszulösen. Sechs Tage später erklärte Frankreich Preußen den Krieg. Im Januar 1871 wurde der erste deutsche Nationalstaat gegründet.
Nach dem Sturz der spanischen Königin Isabella von Bourbon galt Leopold von Hohenzollern als aussichtsreicher Kandidat auf die Thronfolge in Madrid. Frankreich wehrte sich allerdings strikt dagegen, von den Hohenzollern in Spanien und Preußen eingekreist zu werden und erzwang schließlich den Verzicht Leopolds. Als der französische Botschafter Vincent Benedetti den zur Kur in Bad Ems Kur weilenden Preußen-König Wilhelm I. drängen wollte, „für alle Zukunft“ auf eine Kandidatur der Hohenzollern zu verzichten, kam es zum Eklat.
Heinrich Abeken – studierter Theologe, Berater Bismarcks und Vertrauter des Königs – übermittelte die Ereignisse nach Berlin. Dort unterschlug Bismarck die Nachricht von einem Treffen zwischen Botschafter und König und betonte stattdessen, Wilhelm I. habe „durch den Adjutanten vom Dienst“ ausrichten lassen, dass dem Botschafter „nichts weiter mitzuteilen“ sei. Dem Sturm der Entrüstung über den vermeintlichen Affront folgte der deutsch-französische Krieg, der einen Ministerpräsidenten zum Reichskanzler und einen König zum Kaiser beförderte. Nur Heinrich Abeken blieb keine Zeit mehr, sich neue Aufgaben und Titel zuzulegen. Er starb am 8. August 1872 in Berlin.
Vertrauter der Mächtigen
Nach dem frühen Tod der Mutter wuchs Heinrich Abeken im Haus seines Onkels Bernhard Rudolf Abeken auf, der sich als Herausgeber der Schriften Justus Mösers einen Namen machte. Heinrich besuchte das Ratsgymnasium in Osnabrück und ging 1827 nach Berlin, um Theologie zu studieren. Der vielseitig interessierte Student begeisterte sich aber auch für Kunst und Literatur, Philosophie und Politik, Sprachen, Geschichte und Archäologie.
Abeken arbeitete in Italien und England, gewann einflussreiche Freunde wie den preußischen Diplomaten Christian Carl Josias Bunsen und nahm 1842 bis 45 an der großen preußischen Nil-Expedition unter der Leitung von Karl Richard Lepsius teil. Die Forschungsreise begründete die moderne Ägyptologie und führte zu bahnbrechenden Erkenntnissen über die Geschichte der alten Hochkulturen in Ägypten, Äthiopien und im Sudan.
1848 wurde Abeken ohne besondere juristische Vorbildung Mitarbeiter des Außenministeriums. In Vorträgen und Streitschriften widmete sich der Quereinsteiger weiter theologischen Fragen, wurde als Geheimer Legationsrat aber auch zu einem der einflussreichsten Berater des preußischen Ministerpräsidenten. Bismarck vertraute ihm einen Großteil seiner Korrespondenz und entscheidende Verhandlungen an. Außerdem begleitete Abeken Wilhelm I. auf vielen Reisen und wurde so zum Bindeglied zwischen König und Ministerpräsident.
Die beiden wichtigsten Repräsentanten des aufstrebenden Preußen beurteilten ihren Mittelsmann durchaus unterschiedlich. Trotz des engen Verhältnisses sah Bismarck den umtriebigen Theologen kritisch – nicht nur, als es im „Kulturkampf“ um das Machtverhältnis zwischen Staat und Kirche ging. Er schätzte Abekens Erfahrung und nimmermüde Einsatzbereitschaft, verspottete ihn aber auch als „diplomatische Häckselmaschine“, die imstande sei, „in ein paar Viertelstunden über alles zu schreiben, was man von ihm verlangte. Sagte man ihm dann: ´Schön, Herr Geheimer Rat, – aber in der Hauptsache haben Sie mich missverstanden, ich habe gerade das Gegenteil sagen wollen´ – so entschuldigte er sich und brachte unverdrossen nach einer Viertelstunde die Depesche wieder, die nun mit derselben Wucht der Überzeugung das Gegenteil verfocht“, notierte der bereits pensionierte Reichskanzler 1892.
Sein König und späterer Kaiser gönnte Abeken einen ganz anderen Nachruf. Wilhelm I. schrieb an seine Schwiegermutter, man werde selten „einen klareren, arbeitsfähigeren, treueren Staatsdiener“ treffen. Er habe in Abeken immer „einen ratenden Vertrauensmann“ gefunden. Als solcher erscheint er naturgemäß auch in dem Lebensbild, dass seine Witwe Hedwig Ende des 19. Jahrhunderts aus den Briefen ihres Mannes zusammenstellte. Ansonsten hielt sich das Interesse an dem Theologen, der in einer bedeutenden historischen Epoche eine wichtige Scharnierfunktion im preußischen Staatsapparat besetzte, in Grenzen. Erst mehr als 100 Jahre später veröffentlichte Wolfgang Frischbier eine umfangreiche wissenschaftliche Monographie. Sein Buch „Heinrich Abeken 1809-1872. Eine Biographie“ erschien 2008 im Ferdinand Schöningh-Verlag.