Mit der Wertschätzung seiner Zeitgenossen kann die des 21. Jahrhunderts noch nicht mithalten. Gleichwohl werden immer mehr Meisterwerke aus dem schier unerschöpflichen Oeuvre Antonio Caldaras wiederentdeckt und in herausragenden Besetzungen aufgenommen. Jüngstes Beispiel ist das 1726 in Wien uraufgeführte Oratorium „Gioseffo che interpreta i sogni“.
Der Weg zur Prophezeiung von sieben Jahren Überfluss und sieben Jahren Hungersnot ist schon im Alten Testament eine aufwändige Spurensuche. Schließlich ahnt der allmächtige Pharao nicht, dass der Mann, der ihm die nächtlichen Visionen deuten kann, in einem seiner Verliese sitzt. Caldaras Librettist Giovan Battista Neri fügt in die biblische Geschichte einen Testa (zu dt. „Text“) genannten Erzähler und den zwielichtigen Diener Sedecia ein und macht sie dadurch noch ein Stück komplizierter.
Den Faden verliert der Hörer allerdings nicht, denn Caldara gießt das Füllhorn seiner Erfindungskraft immer wieder über dem Protagonisten aus, um ihn in ganz unterschiedlichen Stimmungslagen zu zeigen. Tiefe Resignation, Gotteszuversicht und das erlösende Gefühl der Freiheit besingt Joseph in fünf Arien, die ein Viertel des gesamten Oratoriums ausmachen.
Margherita Maria Sala meistert diese langen Solopassagen mit ihrer charaktervollen Altstimme auf bewundernswert eindringliche Weise. Die fünf anderen Solisten stehen der Italienerin allerdings in nichts nach. Luigi De Donato (Faraone), Arianna Vendittelli (Sedecia), Eleonora Bellocci (Coppiere), Lorrie Garcia (Panatiere) und Mauro Borgioni (Testo) überzeugen durch Ausdruck und Technik, verleihen ihren Partien aber auch jenen barocken Glanz, der Caldaras Partituren auszeichnet.
Chor und Orchester des Consort Maghini liefern dazu unter der energiegeladenen Leitung von Alessandro De Marchi eine fesselnde Begleitmusik, die mit aparten Klangfarben versehen ist. Zu Josephs Arie „E quando mai“ erklingt ein Chalumeau, ein Vorläufer der heutigen Klarinette, während sein opulentester Auftritt „Libertà cara“ von einem Psalterium, einer altertümlichen Zither ohne Griffbrett, begleitet wird.
Antonio Caldara: Gioseffo che interpreta i sogni, 2CDs, Glossa