Dampfboote, Kommunisten und ein demokratischer Vordenker

Sein 200. Geburtstag ging am 25. Juli 2020 fast unbeachtet vorüber. Dabei gehörte der in Lienen geborene Rudolf Hermann Kriege zu den bedeutenden, international engagierten Vordenkern eines demokratischen Staates.

Der Vater war ein wohlhabender Kaufmann, der Sohn interessierte sich für die Menschen, die von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen waren. Nachdem er Schulen in Lienen, Lengerich, Bielefeld, Lingen und Minden besucht hatte, begann Hermann Kriege zunächst Medizin und später Philosophie zu studieren. In Leipzig wurde er mit Robert Blum, Theodor Fontane und Ludwig Feuerbach bekannt, während er in Westfalen mit den Frühsozialisten um Otto Lüning konferierte und Texte für das „Weser-Dampfboot“ schrieb, das ab 1845 als „Westphälisches Dampfboot“ firmierte.

Kriege geriet immer häufiger in Konflikt mit der Staatsmacht, wurde zu Festungshaft verurteilt, floh über Brüssel nach London und traf neben Wilhelm Weitling auch Karl Marx und Friedrich Engels. 1845 zog er nach New York, gründete eine „Sozialreformassoziation“ und gab die Zeitschrift „Volkstribun“ heraus.

Marx und Engels sind empört

Wenig später zerbrach die politische Freundschaft mit den früheren Weggefährten. Krieges Ablehnung eines gewaltsamen Umsturzes und sein Plädoyer für ein Bündnis zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft provozierte u.a. Marx und Engels derart, dass sie ein eigenes, gegen Kriege gerichtetes „Zirkular“ auf den Weg brachten. Darin wurde dem Auswanderer die „Verwandlung des Kommunismus in Liebesduselei“ vorgeworfen. Schließlich hatten die selbsternannten Sprachrohre des Proletariats in einem Artikel sage und schreibe 35 Mal das revolutionsuntaugliche Wort „Liebe“ gezählt.

Mit Ausnahme von Weitling wollten die Empörten nunmehr festgestellt wissen, dass die im „Volkstribun“ vertretene Tendenz „nicht kommunistisch“, sondern „im höchsten Grade kompromittierend für die kommunistische Partei in Europa sowohl als in Amerika“ sei. Weil Hermann Kriege als literarischer Repräsentant des deutschen Kommunismus in New York gelte, müsse seine „phantastische Gemütsschwärmerei (…) demoralisierend auf die Arbeiter wirken.“ Und zwar wiederum: „Im höchsten Grade“.

Der Gescholtene ließ sich dadurch nicht irritieren, stellte den „Volkstribun“ ein und publizierte stattdessen „Die Väter unserer Republik“, eine gut 400-seitige Verbeugung vor Benjamin Franklin und Thomas Paine. Das Buch sollte den Deutsch-Amerikaner die Grundsätze einer demokratisch-republikanischen Verfassung näherbringen.
Kriege solidarisierte sich schon in der Vorrede mit den Zeitgenossen, die unter der „Zuchtrute von Fürstenknechten“ aufwachsen mussten waren und von „Pfaffen zu ´gottgefälliger´ Kriecherei dressirt“ wurden, distanzierte sich aber ausdrücklich von „revolutionären Hitzköpfen“, die europäische Maßstäbe an amerikanische Verhältnisse legen wollten.

Soziale Gerechtigkeit und amerikanische Freiheitsideen bildeten nun das Fundament seiner Weltanschauung, für die er auch in der alten Heimat werben wollte. Während der Revolution von 1848 nahm Hermann Kriege an den ersten beiden Demokratenkongressen in Frankfurt und Berlin teil. Doch die Vorstellungen, wie ein künftiges deutsches Gemeinwesen aussehen sollten, gingen zu weit auseinander.

Kriege siedelte mit seiner Familie wieder nach Amerika über und arbeitete in Chicago noch einmal als Journalist. Die Symptome einer schweren psychischen Erkrankung zwangen ihn aber bald zur Rückkehr nach New York, wo er am 31. Dezember 1850 im Alter von nur 30 Jahren starb.

 

Buchtipp: Der Lehrer und Historiker Alfred Wesselmann hat seine Dissertation über Hermann Kriege geschrieben. Sein Buch „Burschenschafter, Revolutionär, Demokrat: Hermann Kriege und die Freiheitsbewegung 1840–1850“ erschien in „Der Andere Verlag“, Osnabrück 2002