1927, eine unruhige Zeit in Deutschland. Die Wirtschaft erfährt einen Aufschwung, jedoch klafft die Schere der sozialen Ungleichheit immer weiter auseinander. Von dem vermeintlichen Wohlstand der Großstädte ist auf dem Land nicht viel zu merken. Dabei sind die Ansprüche der Dorfbewohner eher bescheiden.
So auch im Dorf von Bruno und Herbert. Als eines Tages ein Mann vorbeikommt und die beiden jungen Männer einlädt, Teil der kommunistischen Weltrevolution zu werden, nehmen die Ereignisse ihren Lauf.
„Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen“ von Lothar Becker ist im Carpathia Verlag erschienen.
Die Ungerechtigkeit der Welt
„Mit einer Bombe fängt es an, der Rest kommt von allein […]“, ist Herbert überzeugt. Gemeinsam mit seinem Freund Bruno beklagt er die Ungerechtigkeit der Welt. Schließlich wünschen sich die beiden Männer nichts sehnlicher als ein eigenes Fahrrad. Da kommt das Angebot von Genosse Frank – der auf einem schmucken Zweirad ins Dorf der beiden Freunde radelt – genau zur rechten Zeit: Zwei Aufnahmeverträge für die kommunistische Partei, ein Heilsversprechen.
In der Hoffnung auf ein Fahrrad unterzeichnet Herbert sofort. Er ist Pragmatiker durch und durch, wie subtile Hinweise in der weiteren Handlung verraten. Bruno – ein eher nachdenklicher Charakter – zögert, stimmt dem Beitritt dann aber aus Höflichkeit zu. Immer wieder werden seine Bedenken sichtbar gemacht, die einer Gewissheit weichen: Der Weg zu einer vermeintlich gerechteren Gesellschaft hat seinen Preis.
Lothar Becker nimmt uns mit auf die Reise von Bruno, Else, Herbert und einigen kommunistischen Genossen, die über Stationen in Deutschland, Wien und Venedig führt. So werden wir Zeuge, wie aus dem ruhigen, eher zurückhaltenden Bruno ein Revolutionär mit Haltung wird, der seine ganz eigenen Werte vertritt.
Spannungsbogen durch diametrale Charakterentwicklung
Bruno wird schnell bewusst, dass der radikale Weg seiner kommunistischen Genossen der eigentlichen Zielsetzung, dem Aufbau einer gerechteren Gesellschaft, alles andere als dienlich ist. Er erkennt, dass es mit einem leichtfertig gezeichneten Feindbild nicht getan ist und dass das eigene Handeln oftmals unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht.
So versucht er Else – die er zu Beginn seiner Mission kennenlernt – und sich aus der Affäre zu ziehen. Mehrere Fluchtversuche scheitern. Seine gewitzten Versuche, die ihm aufgebürdeten Aufträge zu umgehen, ebenfalls. Lothar Becker zeichnet hier ein tragisch-komisches Bild eines jungen Mannes, der völlig unverhofft in eine politisch äußerst angespannte Situation eingebunden wird und buchstäblich zum Bauernopfer gemacht werden soll.
Else wirkt zunächst wie eine Nebenfigur, nimmt aber schließlich eine entscheidende Rolle ein. Denn sie wird als ausgleichendes Element dargestellt, die Bruno durch ihre geerdete Art und ihr kluges Wesen als Gewissen dient.
Hinsichtlich der Protagonisten vollzieht sich eine diametrale Entwicklung, die eine gewisse Spannung in die Handlungsstruktur bringt. Während Genosse Frank immer weiter in der Hierarchie der Partei aufsteigt, werden die Zweifel bei Bruno und Herbert immer größer. Franks Aufstieg zeigt sich in der Evolution seiner Fahrzeuge Fahrrad, Motorrad, Auto – und seiner zunehmenden Skrupellosigkeit. Das Fahrrad wird als Symbol immer wieder aufgegriffen und so zum verbindenden Element innerhalb des Plots.
Interessante Handlung, der etwas Tiefgang fehlt
Die Protagonisten sind interessant inszeniert, werden jedoch recht oberflächlich gezeichnet. Hier hätte man sich als Leser an der einen oder anderen Stelle ein wenig mehr Tiefe gewünscht, um eine bessere Identifikation mit den Charakteren zu erlangen. Auch wäre es schön gewesen, die realhistorischen Ereignisse, vor dessen Kulisse die Protagonisten handeln, ein wenig intensiver zu beleuchten. Hier hätten schon einige Nebensätze ein runderes Bild ergeben.
Das narrative Schema ist dennoch ansprechend gestaltet. Die Erzählgeschwindigkeit ist zügig und erlaubt eine kurzweilige Lektüre. Insbesondere die philosophischen Überlegungen zum Thema soziale Gerechtigkeit hat Lothar Becker gut positioniert, sodass manch ein Gedankenanstoß ins Ziel trifft.
Lothar Becker: Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen, Carpathia Verlag, 20 €