Das Fliesenwunder

Farbenfroh und detailversessen ist die Gestaltung der Wiener Zinshausfoyers. Die gemusterten Fliesen im Eingangsbereich und den Gängen machen den ganz besonderen Charme des Wiener Zinshauses aus und sind typisch für diese Bauten.

Während in frühhistoristischen Bauten typischerweise die zwischen gelblich und rötlich changierenden Solnhofer Bodenplatten verlegt sind, wurden diese in der Folge aus Kosten- und Geschmacksgründen durch Terrazzoböden oder keramische Fliesen abgelöst. Mit dem Verlegen glasierter Wandplatten und keramischer Bodenbeläge machte sich insbesondere der 1899 gegründete Familienbetrieb der Brüder Schwadron einen Namen.

Die aus dem damaligen Galizien stammenden Brüder Victor und Adolf Schwadron spezialisierten sich auf den Handel mit baukeramischen Materialien und setzten auf die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstler:innen. Die künstlerisch sehr hochwertigen baukeramischen Produkte im Sortiment der Brüder Schwadron, darunter Wand- und Bodenfliesen, Brunnenelemente, Vasen und Gedenksteine, fanden während des Baubooms der Wiener Gründerzeit reißenden Absatz.

Selbstbewusst und markenbewusst signierte die Firma ihre Auftragsarbeiten mit ihrem Firmennamen oder Logo. Aufmerksame Besucher:innen von Wiener Zinshäusern werden diese sogenannten Signaturfliesen auch heute noch eingestreut in die Boden- oder Wandverfliesung finden. Die Familie Schwadron errichtete in den Jahren 1900 bis 1901 ein sechsstöckiges Zinshaus als Firmensitz am Franz-Josefs-Kai 3 und führte von dort aus erfolgreich ihre Geschäfte bis in die Zwischenkriegszeit.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Familie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt und beraubt, ihr Betrieb wurde „arisiert“, das Vermögen eingezogen. Adolf Schwadron hatte schon 1934 Selbstmord begangen, sein Bruder Victor verstarb 1942 in Wien, seinen Söhnen Ernst und Walter gelang die Flucht in die USA.

 

Buchtipp
„Das Wiener Zinshaus. Bauen für die Metropole“ ist im April 2023 im Residenz-Verlag erschienen. Auf 250 Seiten gibt es eindrucksvolle und bereits verschwundene Bauten, außergewöhnliche Fassaden sowie prachtvolle Foyers und Stiegenhäuser zu entdecken. Marion Krammer und Margarethe Szeless, die Gründerinnen von „wesearch. agentur für geschichte und kommunikation“, der Kunsthistoriker Andreas Nierhaus und die Fotografin Nora Schoeller legen damit die erste umfassende Publikation zu diesem Thema vor. Die erste Auflage ist bereits vergriffen, eine zweite erschien im August 2023.