Das Taufbild eines Nazareners

Das Dortmunder Museum für Kunst- und Kulturgeschichte stellt im Oktober ein durchaus ungewöhnliches „Objekt des Monats“ vor. Carl Christian Vogel von Vogelstein (1788–1868) machte sich als Porträtmaler einen Namen und schuf nur selten religiöse Darstellungen. Seine „Taufe Christi“, die derzeit eintrittsfrei in der Dauerausstellung des Museums zu besichtigen ist, darf allerdings als programmatisches Werk verstanden werden.

In einem pyramidalen Figurenaufbau vor einem tiefen Landschaftshintergrund steht rechts neben zwei Engeln in der Mitte der nur leicht bekleidete Jesus. Betend neigt er mit geschlossenen Augen seinen Kopf. Rechts vor ihm kniet der mit einem Fell bekleidete Johannes, um ihm nach biblischer Überlieferung zu signalisieren, dass besser er von Jesus getauft werden sollte als Jesus von ihm – Johannes erkennt nämlich in ihm den Erlöser. Im rechten Mittelgrund ziehen sich zwei nackte junge Täuflinge lasziv aus, und vom Himmel scheint stark nach unten gerichtetes Licht, das durch die eigentümliche Wolkenbildung an eine Engelsgestalt erinnert. Zu sehen ist der Moment kurz bevor Johannes Wasser mit einer Muschel aus dem Jordan schöpft, um damit Jesus zu überschütten. Diese rituelle Reinigung steht unmittelbar vor dem Beginn des Wirkens Jesu.

Die Darstellung der Taufe Christi (s. dazu die Bibelstellen Mt 3, 13-17; Mk 1, 9-11; Lk 3, 21-22; Joh 1, 29-34) ist eine ausgesprochen beliebte und häufig vorkommende Szene in der Kunst – allerdings vornehmlich im Mittelalter, das zur Zeit der Entstehung dieses Gemäldes bereits mehr als drei Jahrhunderte vorbei war. Das Gemälde wirkt süßlich und erinnert anachronistisch an klassische Darstellungen dieses Themas im Spätmittelalter und in der Renaissance, wenngleich es in seiner Perfektion und Glattheit erkennbar Kind des 19. Jahrhunderts ist. Der Maler Carl Christian Vogel von Vogelstein ist vor allem für seine Porträts, weniger für religiöse Darstellungen bekannt, von denen es gerade einmal eine Handvoll gibt. Die Wahl dieses Themas ist sicher dem Umstand geschuldet, dass das Gemälde eine Auftragsarbeit ist, und zwar von Baron Funck für sein Schloss Laubsdorf bei Cottbus. Die „Taufe Christi“ gehört zu Vogelsteins Frühwerk, das am stärksten durch die nazarenisch-romantische Kunst beeinflusst wurde.

Bereits Vogelsteins Vater Christian Leberecht Vogel war Maler, der seinen Sohn früh unterrichtete und ihn ab 1805 an die Dresdner Kunstakademie schickte. Zwischen 1808 und 1812 lebte Vogelstein im Baltikum. Nach seinem Italienaufenthalt wurde er 1820 als Nachfolger von Gerhard von Kügelgen an die dortige königliche Kunstakademie berufen, 1823 porträtierte er zum ersten Mal den sächsischen König Friedrich August I., 1824 wurde er zum Hofmaler ernannt und 1831 in den Adelsstand erhoben. Zwischendurch reiste er viel, nach Paris, in die Niederlande, nach Belgien und England, nach Prag und Wien und immer wieder nach Italien. Der gut vernetzte Künstler war Mitglied der Akademien von Rom, Madrid, St. Petersburg, Berlin, Wien, Kopenhagen, München, Florenz, Venedig und Pennsylvania.

Seine prägende Phase erlebte Vogelstein bei seinem ersten Aufenthalt in Italien von 1813 bis 1820, während dessen seine „Taufe Christi“ entstanden ist. Er gehörte nie zum engsten Kreis der zu dieser Zeit prominenten Nazarener*innen, aber ihre Gedanken- und Zeichenwelt teilte er mit ihnen durchaus. Diese bildeten eine romantische Richtung Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem in Wien und Rom, deren Mitglieder gegen den einengenden akademischen Klassizismus mit seiner Fokussierung auf die Antike wie auf die als zu kalt empfundene Aufklärung gleichermaßen aufbegehrten. Maler*innen wie Joseph Anton Koch, Friedrich Overbeck und Louise Seidler wollten die Erneuerung der Kunst unter dem Leitstern des Christentums, sie stellten eine wichtige ästhetische Kraft innerhalb der romantischen Bewegung insgesamt dar. Ihre Forderung nach mehr Sinnlichkeit und Emotion schlug sich in den vielen Übertritten zum Katholizismus nieder, auch Vogelstein konvertierte 1819. Wie so oft in als Krisenzeit empfundenen Gegenwarten wird eine bessere Gesellschaft in der Vergangenheit fantasiert: Das Mittelalter wurde zu einer Chiffre der heilen Welt, das damals fest verankerte Christentum zum Hort der Stabilität.

Ganz im nazarenischen Sinn malte Vogelstein völlig ungebrochen ein ganzheitliches christliches Erlösungsbild: Jesus steht am Beginn seines Wirkens, die Menschheit kann sich auf die Errettung bereit machen. Die Taufe – hervorgegangen aus dem jüdischen Tauchbad – wird überdies als späteres neues christliches Sakrament eingeführt. Wir haben es also mit einem Programmstück zur christlichen Erneuerung der Gesellschaft im Zeitalter der zunehmenden Säkularisierung zu tun.