Der Kaiser und die singenden Männer

In Teil 2 unserer neuen Serie aus dem Archiv Historische Bildpostkarte lernen wir die Spitze des Hauses Hohenzollern von einer eher ungewohnten Seite kennen.

Kaiser Wilhelm II. gefällt sich nicht nur als militärischer Führer, der das Deutsche Reich durch die Unbilden der politischen Wetterlage zu führen vermag, sondern kümmert sich auch um die Pflege der Kunst, insbesondere aber tritt er als „Förderer des Gesanges“ in Erscheinung. Auf Allerhöchsten Erlass vom 27. Januar 1895 finden im Deutschen Reich Wettstreite deutscher Männergesangvereine statt, zuerst 1899 in Kassel, und drei Mal in Frankfurt am Main (1903, 1906 und 1909).

Die überwiegend bürgerliche Welt der organisierten Sänger ist elektrisiert. „S. Majestät der deutsche Kaiser und König von Preußen“ hat einen Wanderpreis für das beste Ensemble gestiftet, eine wertvolle Kette mit der Inschrift „Im Liede stark, deutsch bis ins Mark“. Diese darf vom Vorsitzenden des jeweils siegreichen Vereines bei festlichen Gelegenheiten um den Hals getragen werden. Der Kaiser ernennt die Preisrichter und ist bei jedem Wettstreit höchstselbst zugegen. So werden diese Veranstaltungen zum „Event“, wie man heute sagen würde. Eingeladen zu werden ist eine Ehre für jeden Männerchor, der sich dann auch gut auf die Präsentation seines Programms vorbereiten muss.

Auf der vorliegenden Karte geht es um den vierten und letzten Wettstreit dieser Art im Jahr 1913. Hier steht das Porträt des Stifters im Mittelpunkt, umrahmt von Lorbeer, „Heil“-Rufen und der Devise: „Fest im Ton, stark im Lied“. Veranstaltungsort ist die Festhalle in Frankfurt. Sie ist groß und deutlich im Hintergrund abgebildet. Am äußersten Bildrand heißen die Initiatoren der Veranstaltung die Besucher „Willkommen in den Mauern Frankfurts“. So macht diese Festkarte zugleich ein wenig Werbung für die Stadt, die den Wettstreit ausrichten darf.

Unübersehbar haben die Hersteller einen Zeppelin über die Festhalle fliegen lassen. Das ist freilich sonderbar, dient aber ebenfalls dem Ansehen der gastlichen Stadt, die mit dem Luftschiff vermutlich daran erinnern möchte, dass sie im Jahr 1909 die Ehre hatte, die erste Luftfahrt-Ausstellung im Deutschen Reich auszurichten. Damals kreiste das neuartige Fluggerät, der Zeppelin, ebenfalls über der Stadt und der Festhalle. Vielleicht dachte der deutsche Kaiser, der nach anfänglichem Zögern die Bedeutung des gelenkten Luftschiffes erkannte, bereits zu diesem Anlass an eine militärische Nutzung. In der Tat war es der Zeppelin, von dem aus einige Jahre später, am 19. Januar 1915, der erste Bombenangriff auf Großbritannien erfolgte.

Auf der vorliegenden Abbildung ist die Welt noch in Ordnung. Hier erscheint der letzte Hohenzollernkaiser noch als Bewahrer deutscher Kultur und auf dem Höhepunkt seiner militärischen und politischen Macht.