Unter den Autor:innen des Horror-Genres gilt Edgar Allan Poe nach wie vor als unerreichter Meister seines Fachs. Seiner Kurzgeschichte „Der Untergang des Hauses Usher“ (1839) hat sich nun ein Team aus versierten Künstler:innen aus Italien gewidmet. Dacia Palmerino hat den Stoff adaptiert, Andrea Grosso Ciponte das Szenario illustriert – mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI). Entstanden ist eine außergewöhnliche Graphic Novel, die wohl die erste ihrer Art sein dürfte.
Der Name Edgar Allan Poe steht für groteske Horror-Fiction, die tief in das Spannungsfeld menschlicher Urängste und psychischer Abgründe eindringt und dennoch einen Weg findet, poetisch und visionär aufzutreten. Hier stellt sein Werk „Der Untergang des Hauses Usher“ keine Ausnahme dar: Auf Bitten eines Freundes reist der Protagonist zum Anwesen der Familie, das von einer zutiefst verstörenden Stimmung beherrscht wird. Die schwer kranke Schwester des Gastgebers verstirbt während des Besuchs. Sie wird lebendig begraben und gebiert schließlich Zwillinge, die durch eine inzestuöse Verbindung gezeugt wurden.
Dacia Palmerino ist es gelungen, den Inhalt der Erzählung für das Format Graphic Novel optimal einzukürzen. Der Spannungsbogen baut sich trotz des geringen Umfangs von lediglich 64 Seiten rapide auf, ohne im Verlauf des Plots an Brisanz zu verlieren. Von Anfang bis Ende wird der makabre Erzählstrang fesselnd gestaltet, denn Plot und Illustration greifen perfekt ineinander. Mit „Der Untergang des Hauses Usher“ halten die Lesenden ein Novum auf dem Buchmarkt in den Händen: Die Zeichnungen von Andrea Grosso Ciponte stammen nicht allein aus seiner Feder. Vielmehr handelt es sich um eine Kombination aus handgezeichneten und KI-generierten Elementen, die mittels entsprechender Software auf einem Tablet realisiert wurden.
Die Macher:innen der Graphic Novel haben also ein Gemeinschaftswerk geschaffen, das schon heute einen Blick in die Zukunft bietet: Nach aktuellen Prognosen Kreativschaffender wird die KI den Menschen zwar nicht ersetzen. Die KI avanciert aber immer mehr zum hilfreichen Tool, das gezielt eingesetzt werden kann. Wer selbst einmal Bildgeneratoren getestet hat, weiß um die Limitierung, die aktuell (noch) bestehen. Nicht selten kommt es zu grotesk wirkenden Verzerrungen und Anordnungen von Bildelementen, die geradezu verstörend wirken. Was für zahlreiche Anwendungszwecke eher von Nachteil scheint, kommt den Macher:innen von „Der Untergang des Hauses Usher“ geradezu entgegen. Der oftmals morbide, unheimliche und skurrile Charakter des Werkes von Poe wird nahezu perfekt umgesetzt.
Sicherlich ist Edgar Allan Poe nicht für jede:n geeignet. Insbesondere nicht in der Form, in welcher der Stoff in dieser Graphic Novel aufbereitet wurde. Liebhabern markanter Horrorliteratur sei dieses Werk aber auf jeden Fall ans Herz gelegt: Es ist beeindruckend schaurig! Ein Geniestreich für Poe-Fans, das sicherlich auch dem Meister der Horrorliteratur selbst gefallen hätte.
Edgar Allan Poe: Der Untergang des Hauses Usher, gezeichnet von Andrea Grosso Ciponte und adaptiert von Dacia Palmerino, Edition Faust 2023, 24 €