Der Leinwandstar, den Filme langweilten

Wenn es darum ging, auf die Schnelle eine knallige Schlagzeile zu produzieren, hatte die internationale Presse in Robert Mitchum einen idealen, weil selten kooperativen Ansprechpartner: „Die Geschichten über mich stimmen alle: Sauftouren, Schlägereien, Weiber. Und wenn Sie wollen, können Sie sich selbst noch mehr ausdenken.“

Für Mitchum war die Schauspielerei nicht mal ein Job wie jeder andere, weil er im Grunde nur drei Gesichtsausdrücke erfordere: „Nach links schauen, nach rechts schauen und geradeaus schauen!“ Er selbst aber war kein Schauspieler wie jeder andere, sondern eine der letzten wirklichen Hollywood-Legenden.

Für das breite Publikum war Mitchum der Inbegriff des wortkargen, selbstbewussten immer coolen Leinwandhelden. In Dutzenden und Aberdutzenden von mehr oder minder ansehnlichen Hollywood-Produktionen kämpfte er sich an der Seite der schönsten Frauen durchs harte Filmleben. Um dabei immer wieder jene überwältigende Mischung aus arroganter Selbstüberschätzung, bodenlosem Zynismus und fatalistischer Schicksalsergebenheit vorzuführen, die das Publikum magisch in die Kinos zog.

Ein Mann mit perfekten Manieren

Dass er auch im Privatleben bei jeder sich bietenden Gelegenheit den unnahbaren Einzelkämpfer gab, war dem Erfolg dienlich. Denn die brodelnde Gerüchteküche, die von immer neuen Affären, Saufgelagen und sonstigen Skandalgeschichten zu berichten wusste, hielt das öffentliche Interesse über Jahrzehnte lebendig. Insofern waren Imagekorrekturen, wie sie Regisseur Charles Laughton vorzunehmen versuchte, geradezu geschäftsschädigend. Denn wer wollte schon wissen, dass all das Macho-Gehabe oft nur Fassade war: „Robert ist ein gebildeter, liebenswürdiger und netter Mann mit perfekten Manieren“, gab Laughton zu Protokoll. Außerdem kann er, wenn er nur will, wundervoll sprechen. Er würde den besten ´Macbeth´ aller lebenden Schauspieler abgeben.“

Möglich wäre das schon gewesen, denn Mitchum war es nach eigener Aussage ohnehin völlig gleichgültig, welche Rollen er spielte. Er könne, so ließ er einmal politisch absolut unkorrekt verlauten, problemlos auch „polnische Schwule, Zwerge oder Frauen“ verkörpern.

1955 in Norwegen

Im realen Leben hatte er seine Wandlungsfähigkeit immerhin schon unter Beweis gestellt, denn der in New Yorks berühmter „Hell’s Kitchen“ aufgewachsene Mitchum kam früh mit dem Gesetz in Konflikt und war lange Jahre zu sehr unterschiedlichen lebenserhaltenden Maßnahmen gezwungen. Obwohl es die Mutter, nachdem ihr Mann durch einen Autounfall gestorben war, zur Zeitungsverlegin brachte, flog der Sohn mit 14 von der Schule, wurde wegen asozialen Verhaltens zu 180 Tagen Zwangsarbeit verurteilt, flüchtete nach sieben Tagen und verdingte sich fortan als Kesselputzer, Türsteher, Tellerwäscher, Boxer oder Gelegenheitsarbeiter.

Doch als er 1948 wegen Drogenbesitzes für 60 Tagen hinter schwedischen Gardinen landete, war er bereits ein gemachter Mann. Denn in der Zwischenzeit hatte sich Mitchum daran erinnert, dass er schon im Alter von acht Jahren mit seiner Schwester Julie als Sänger und Tänzer aufgetreten war. Und daraufhin die weitreichende Entscheidung getroffen, Schauspieler zu werden und viel Geld zu verdienen.

„No acting required“

Über Laienspielgruppen fand er den Weg zum Film und demonstrierte sein Talent in William A. Wellmans „Schlachtgewitter am Monte Cassino“ (1945) so eindrucksvoll, dass es für die erste (und leider einzige) Oscar-Nominierung reichte. Aber Mitchum kam auch ohne goldfarbene Statuen zurecht. Über zwei Kultstreifen des Film Noir („Goldenes Gift“ & „Kreuzfeuer“, beide 1947) qualifizierte er sich für weitere Aufgaben, die schnell aufeinander folgten. Wählerisch war Mitchum nicht, er kritzelte NAR an den Rand vieler Drehbücher: „No acting required“ – keine Schauspielerei erforderlich.

1952 sah man ihn in einem der Abgesänge des großen Josef von Sternberg („Macao“), zwei Jahre später brillierte er neben Marilyn Monroe in „Fluß ohne Wiederkehr“ und 1955 zeigte Mitchum in Charles Laughtons „Die Nacht des Jägers“ eine seiner faszinierendsten Charakterstudien als mörderischer Psychopath Harry Powell. Auch in den 60er Jahren konnte ohne ihn keine Filmgeschichte geschrieben werden. Von seiner Leinwandpräsenz lebten Klassiker wie der Kriegsfilm „Der längste Tag“ (1962), der Jack Lee Thompson-Schocker „Ein Köder für die Bestie“ (1962), den Martin Scorsese Anfang der 90er reanimierte („Kap der Angst“), und natürlich der Edel-Western „El Dorado“ (1967), in dem Robert Mitchum den versoffenen Sheriff Harrah gab.

1969 läutete er als gealterter Revolverheld Bill Kane in „Der gnadenlose Rächer“ ein neues Kapitel ein, ohne doch in das bei vielen Kollegen unvermeidliche Karriereloch zu fallen. Nur ein Jahr später war er in David Leans „Ryans Tochter“ zu sehen“, dann folgten Peter Yates´ “Die Freunde von Eddie Coyle“ (1973), Sidney Pollacks „Yakuza“ (1975), Dick Richards „Fahr zur Hölle, Liebling“ (1975) oder Michael Winners „Tote schlafen besser“ (1978).

Von eigenen Filmen gelangweilt

Erst in den 80er und 90er Jahren wurde es etwas stiller um Robert Mitchum, der trotz seines fortgeschrittenen Alters allerdings noch immer für aufwendige Film- und Fernsehproduktionen wie „Fackeln im Sturm“ (1986), „Kap der Angst“ (1991) und „Dead Man“ (1995) verpflichtet wurde – und summa summarum in gut 130 Produktionen mitspielte. Womöglich wird der Mann, der am 1. Juli 1997 in seinem Haus im kalifornischen Santa Barbara einem Krebsleiden erlag, desöfteren darüber nachgedacht haben, ob sein bekanntester und am meisten zitierter Ausspruch tatsächlich ausnahmslos für seine sämtlichen Leinwandauftritte gelten sollte: „Filme langweilen mich – besonders meine eigenen!“

Regisseur John Huston sah das völlig anders und verwies auch Mitchums Selbstdarstellung in das Reich der Fabeln. Der Gelangweilte sei nämlich in Wahrheit „eine Rarität unter den Schauspielern. Er arbeitet hart, beschwert sich nie und ist unglaublich aufmerksam. Er ist einer der am meisten unterbewerteten Stars in diesem Geschäft.“