Am Ende eines Jahres, das erneut durch Krieg und Gewalt gekennzeichnet war, setzt das Ensemble „Seicento Vocale“ ein Zeichen der Hoffnung. Auf ihrer Debüt-CD ertönen Friedensrufe – der literarische und musikalische Rahmen reicht vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg.
Wäre es nicht sinnvoll gewesen, auch zeitgenössische Texte und Kompositionen einzubeziehen? Doch, das wäre es durchaus, denn schließlich sind wir seit dem brutalen russischen Überfall auf die Ukraine wieder mit einem Krieg mitten in Europa konfrontiert. Überdies erreichen uns nahezu tagtäglich Schreckensmeldungen aus dem Nahen Osten, aus Myanmar, dem Sudan und vielen anderen Gegenden der Welt.
Das Thema Krieg und Frieden ist also kein historisches, aber das will „Seicento Vocale“ wohl auch nicht andeuten. Die Programmauswahl gemahnt vielmehr an den ernüchternden Umstand, dass es der Menschheit zwar immer wieder gelang, Frieden zu schließen, sie aber ebenso häufig an dem Versuch scheiterte, diesen dauerhaft zu bewahren. Der bitteren Klage über das Leid und die Sinnlosigkeit des Mordens und Sterbens folgte stets die nächste Beschwörung von nationaler Größe oder der Glaube an den religiösen Auftrag. Insofern macht es Sinn, den inhaltlichen Bogen über die Jahrhunderte zu spannen und damit dem Beispiel der Komponisten zu folgen, die (wie Viktor Ullmann) aus dem Jahr 1944 in den Ersten Weltkrieg oder (wie Ernst Krenek) von 1932 aus in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückblickten.
Im Zentrum des Albums steht die Vertonung der „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, die Viktor Ullmann kurz vor seiner Ermordung im KZ Auschwitz-Birkenau zu Papier brachte. Ensembleleiter Jan Croonenbroeck hat aus der fragmentarischen, unterschiedliche Fassungen erlaubenden Überlieferung des Werkes eine Chorbearbeitung entwickelt, die durch Gesänge von Robert Schumann und Johannes Brahms ergänzt wird. Den zweiten Teil bilden Ernst Kreneks düster-prohetische, Lyrik aus dem Dreißigjährigen Krieg kompilierende „Kantate von der Vergänglichkeit des Irdischen“ und das Requiem „Seele, vergiß sie nicht“ von Max Reger nach einem Text von Friedrich Hebbel. Zum Abschluss streut Johannes Brahms mit den Worten Friedrich Schillers Samen aus – in der Hoffnung, „dass er aus den Särgen / Erblühen soll zu schönerm Los.“
„Seicento Vocale“ verzichtet mit Ausnahme der Pianistin Cornelia Glassl auf instrumentale Begleitung. Die Solopartien übernehmen die Sopranistin Cornelia Samuelis, die Altistin Henriette Gödde und einzelne Chormitglieder. Singend, sprechend, flüsternd, aufbrausend, jammernd und klagend verbindet das stimmgewaltige Ensemble die Kompositionen zu vielschichtigen Klangkulissen. Sie lassen den Hörer oft erschüttert, aber stets in der Hoffnung zurück, dass ein Neuanfang immer wieder möglich ist – dass der Mut, Krieg und Gewalt zu überwinden, wiederbelebt und die Sehnsucht nach Frieden endlich doch gestillt werden kann.
Friedensrufe – Seicento Vocale Viktor Ulmann: Aus „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ / Ernst Krenek: „Kantate von der Vergänglichkeit des Irdischen“ / Requiem „Seele, vergiß sie nicht“ und Chorsätze von Robert Schumann und Johannes Brahms, resonando