Der tolle Hecht von Wilhelmstein

Rund hundert Jahre bevor der französische Schriftsteller Jules Verne in seinem Roman „20.000 Meilen unter den Meeren“ (1869-70) die technische Entwicklung der U-Boote vorwegnimmt, läuft 1772 im Steinhuder Meer unter strengster Geheimhaltung ein ganz besonderes Schiff vom Stapel. Auf der Festungsinsel Wilhelmstein gehen acht Männer an Bord eines geheimnisvollen Unterseebootes. Zwölf Minuten soll ihre Tauchfahrt mit dem „Steinhuder Hecht“ gedauert haben.

1762 erhält Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe von der englischen Krone den Oberbefehl über die Streitkräfte Portugals. Der anerkannte Militärstratege, von manchen auch als „Kanonengraf“ bezeichnet, soll Portugal vor den Truppen Frankreichs und Spaniens schützen. Während der Überfahrt gelingt es seinem Begleiter, dem Ingenieur und Offizier Jakob Chrysostomus Praetorius, ihn von seinen Plänen zum Bau eines Unterwasserbootes zu überzeugen. Praetorius schwebt ein fischähnliches Fahrzeug vor, in dem Platz für 15- 40 Männer sein soll, unter deren Führung das Schiff bei Sturm, Wellen und nahenden feindlichen Schiffen unter die Wasseroberfläche abtauchen soll. Unsichtbar und sicher könne es seine Fahrt ungehindert fortsetzen.

Graf Wilhelm regiert die kleine Grafschaft Schaumburg-Lippe mit gerade einmal 17.000 Einwohnern. Bedroht sieht er seinen Zwergstaat insbesondere durch die Expansionspläne des Landgrafen von Hessen-Kassel. Wilhelm plant und veranlasst aus diesem Grund den Bau einer Inselfestung im Steinhuder Meer. Von 1761-65 werden deshalb täglich außer sonntags (bei Mondschein auch nachts) Steine und Kies mit Ruderbooten auf das Steinhuder Meer hinausgefahren und dort ins Wasser geworfen. Als die ersten Steine aus dem Wasser herausragen, wird die Aufschüttung rundherum mit Eichenpfählen gesichert.

Festung Wilhelmstein

Auf der künstlichen Insel entsteht bis 1767 eine Sternschanze. Die Festung gilt als uneinnehmbar. Zusätzlich werden 16 kleine Inseln um die Festungsinsel herum angelegt. Verbunden sind sie untereinander mit Zugbrücken. Wilhelm installiert in der Festung eine angesehene Militärschule und stationiert 166 Geschütze. 1774 richtet sich Wilhelm im Turm der Festung ein Observatorium ein. Wahrscheinlich hat ihn sein ausgeprägtes Interesse an naturkundlichen Phänomenen und technischen Entwicklungen rasch für die Pläne zum „Steinhuder Hecht“ begeistert.

Praetorius Pläne sind ambitioniert. Mit seinem über 30 Meter langen und zwei Meter hohen, einem Fischkörper nachempfunden Boot, will er die Strecke aus der Weser bis nach Portugal in sechs Tagen zurücklegen. Über Wasser angetrieben von Segeln, sorgen unter Wasser bis zu 40 Männer durch die Betätigung des Fischschwanzes für den nötigen Antrieb. 1771 beginnt der Bau eines etwa zehn Meter langen Prototyps, streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit auf der Festungsinsel Wilhelmstein. Acht Männer sollen 1772 mit dem U-Boot für etwa 12 Minuten vor Wilhelmstein getaucht sein. Was dann geschieht, steht in den Sternen. Sämtliche Unterlagen und Aufzeichnungen über diese Versuche mit dem „Steinhuder Hecht“, dem ersten deutschen Unterseeboot, sind scheinbar verschollen.

Skizze von Jakob Chrysostomus Praetorius

Im heutigen Museum in der ehemaligen Festung sind deshalb lediglich zwei Hechtskizzen von Praetorius aus einem früheren Stadium der Entwicklung sowie ein späterer Nachbau eines Hechtmodells zu besichtigen. Heute kommen jährlich etwa 80.000 Besucher auf die Insel, um in den feuchtkalten Kasematten der Festung der bewegten Geschichte dieses einmaligen Ortes nachzuspüren. An die einst bis zu 250 Soldaten und die von 1782-1867 im auf der Insel eingerichteten ausbruchsicheren Staatsgefängnis einsitzenden 300 Häftlinge erinnert nur mehr das Museum. Bereits zwischen 1804 und 1814 werden Hauptinsel und die 16 kleinen künstlichen Inseln durch Steinschüttungen zu einer einzigen rechteckigen Insel miteinander verbunden. 1867 wird die Insel entfestigt und fortan touristisch genutzt.

Vielleicht kommen ja auch einige Gäste, getrieben von der Hoffnung, doch noch den „Steinhuder Hecht“ zu Gesicht zu bekommen. Sei es zappelnd am Angelhaken oder abends aus dem Wasser vor der untergehenden Sonne auftauchend. Noch ist das Geheimnis des „Steinhuder Hechts“ nicht vollständig gelüftet. Erscheint der Tauchgang eines bemannten U-Bootes angesichts einer durchschnittlichen Wassertiefe von ca. 1,35 Metern im größten Binnensee Niedersachsens auch geradezu sagenhaft.

Link-Tipp: Weitergehende Informationen zur Insel Wilhelmstein gibt es auf einer ➤ Internetseite der Steinhuder Meer Tourismus GmbH.