Die andere Auferstehung

Wer religiösen Weltanschauungen folgt, kann vom Phänomen der Auferstehung nicht überrascht sein. Denn wie sollte ein göttliches Wesen, das am Anfang und Ende aller Dinge steht, seinen allumfassenden Machtanspruch besser begründen und demonstrieren als mit der souverän gehandhabten Herrschaft über Leben und Tod?

Menschen haben es da schwerer: Ein Fall zieht oft den anderen nach sich, die sprichwörtliche Wiedergeburt rückt in immer weitere Ferne. Ist aber nicht unmöglich, wie Franco Alfanos Oper „Risurrezione“ zeigt, der Leo Tolstois dritter Großroman „Auferstehung“ zugrunde liegt.

Die Bedienstete Katerina Mihaylovna, genannt Katyusha, wird von Fürst Dimitri nach einer Liebesnacht verlassen und – als ihre Schwangerschaft nicht mehr zu verheimlichen ist – von der Tante des Geliebten aus dem Haus geworfen. Das Kind stirbt, Katyusha wird verhaftet, zu Unrecht verurteilt und nach Sibirien verbannt.

Im Gefängnis tauschen sie die Rollen: Katyusha und Fürst Dimitri

Dimitri versucht, von Reue gepeinigt, sein Unrecht wieder gut zu machen, doch die junge Frau hat inzwischen erkannt, dass die einzige Chance auf ein glückliches, selbstbestimmtes Leben in einem totalen Neuanfang liegt. Ihre Auferstehung ist eine Wiedergeburt außerhalb gesellschaftlicher und religiöser Normen, auch wenn der letzte Vorhang vom Chorgesang „Cristo è risuscitato!“ umtönt wird.

„Risurrezione“, 1904 in Turin uraufgeführt, bedeutete den Durchbruch für den Opernkomponisten Alfano, als dessen nachhaltigste Leistung später allerdings die Vollendung von Puccinis „Turandot“ angesehen wurde. Sehr zu Unrecht, denn gerade „Risurrezione“ bringt alle Voraussetzungen zu einem echten Repertoirestück mit: Eine überaus packende, abwechslungsreiche, oft suggestive Musik, starke, ausdifferenzierte Charakterrollen und – schon dank Tolstoi –reichlich gesellschaftskritisches Potenzial.

Die Inszenierung von Rosetta Cucchi verzichtet auf jegliche Modernismen, sieht man einmal von den Auftritten einer jungen Katyusha ab, die ihrem gefallenen Alter Ego wohl den Zustand der Reinheit und Unschuld spiegeln soll, der am Ende wieder erreicht wird.
Vor allem im zweiten und dritten Akt, am Bahnhof und im Gefängnis, gelingen Cucchi Szenen von großer Eindringlichkeit, zu denen Bühnenbild und Kostüme (Tiziano Santi/Claudia Pernigotti) einen wichtigen Teil beitragen.

Die Produktion war bereits im Rahmen der „Wexford Festival Opera“ zu sehen und wurde für die Weltpremiere auf DVD- bzw. Blue-Ray im Januar 2020 im Teatro del Maggio Musicale Fiorentino aufgezeichnet.
Die Hauptrollen sind mit Anne Sophie Duprels (Katyusha), Matthew Vickers (Dimitri) und Leon Kim (Simonson) gut bis solide besetzt, wobei Duprels auch durch die intensive Darstellung zu überzeugen weiß. Gleiches gilt für das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino unter der Leitung von Francesco Lanzilotta.

Alfanos Musik wäre freilich auch ein Gewinn für die ganz großen Häuser und internationalen Opernstars. Somit spricht eigentlich nichts gegen weitere und dauerhafte Auferstehungen …

Franco Alfano: Risurrezione, DVD / Blue-Ray, Dynamic