Die aristokratische Form des Kapitalismus

Aufgelesen (6): Ida Boy-Eds Roman „Ein königlicher Kaufmann“

Zwei Kaufleute bewerben sich in der altehrwürdigen Hansestadt Lübeck um die Nachfolge des verstorbenen Senators Leitolfs. Was die bessere Gesellschaft, die das Duell mit zunehmender Spannung verfolgt, nicht ahnt: Jakob Bording, der aussichtsreichste der beiden Kandidaten, unterhält seit sechs Jahren ein Verhältnis mit der Frau seines Konkurrenten.

Allerdings nicht mehr lange. Noch vor der entscheidenden Wahl geht Bording daran, sein Leben neu zu ordnen. Er trennt sich von der Geliebten und heiratet aus wohlerwogenen strategischen Gründen die kluge und warmherzige, aber durchaus unscheinbare Therese.
Dann widmet sich Bording wieder seinen Geschäften, die der passionierte Autofahrer, Fabrikbesitzer und Gründer von Aktiengesellschaften weit erfolgreicher betreibt als seine traditionsbewussten Mitbürger. Schließlich hat es der umtriebige Kapitalist „zu fürstlicher Größe“ gebracht, die ihm gesellschaftliches und soziales Engagement erlaubt – oder selbiges von ihm fordert.
Alles läuft nach Plan. Bis Therese herausfindet, dass ihre Liebe gekauft wurde. Nun driften die Unternehmungen des Senators in schwieriges Fahrwasser …

Im Leben mutiger als im Roman

„Ein königlicher Kaufmann“ erschien 1910, erreichte eine Auflage von 60.000 Exemplaren und wurde nicht selten in einem Atemzug mit den „Buddenbrooks“ genannt. Tatsächlich hat Ida Boy-Eds Roman mit dem weltberühmten Werk des von ihr geschätzten und lange Zeit protegierten Thomas Mann nicht nur Thematisches gemein. Auch ihr gelingt ein zwar sympathisierender, aber durchgehend kritischer Blick in eine Gesellschaft, die sich durch Selbstüberschätzung, Doppelmoral und zwielichtige Geschäftspraktiken auf gefährliches Terrain begibt.

Ida Boy-Ed 1912

„Ein königlicher Kaufmann“ überzeugt deshalb als souverän inszenierter, psychologisch interessanter und streckenweise höchst unterhaltsamer Roman. Und irritiert trotzdem. Denn das Frauenbild der Autorin kreist allzu oft um häusliche Fragen oder die widerspruchslose Begleitung des gefeierten Gatten – und bleibt somit in Klischees stecken, die Ida Boy-Ed im „wirklichen Leben“ längst überwunden hatte.

„Manchmal hab‘ ich das Gefühl, als wenn das Leben ein Schreiten durch viele und voneinander ganz verschiedene Räume sei. Wände hat man hinter sich und vor sich.“
„Nur daß die, die hinter einem liegen, von Glas sind, und die, die man vor sich hat, von Mauersteinen.“

Immerhin sorgte die 1852 in Bergedorf geborene Tochter des Zeitungsverlegers und Reichstagsabgeordneten Christoph Marquard Ed einst selbst für handfeste Skandale. 1878 verließ sie ihren Mann Karl Johann Boy und drei gemeinsame Kinder, um mit ihrem Sohn Karl nach Berlin zu ziehen. Hier verkehrte sie in den von ihren Schwiegereltern verhassten Künstlerkreisen und tat, was ihr, der verheirateten Frau und Mutter, ausdrücklich untersagt worden war: Schreiben.

Ein gutes Jahr später kehrte Boy-Ed auf Druck der Familie nach Lübeck zurück und begann später eine leidenschaftliche Affäre mit dem rebellischen Naturalisten Georg Michael Conrad. Die Schriftstellerei gab sie nicht mehr auf. Im Gegenteil, nach dem Bankrott ihres Mannes sorgte Ida Boy-Ed für den Lebensunterhalt. „Wunderlicher Kreislauf der Dinge: Die einst so verhöhnte und verachtete Feder umschrieb nun die bürgerliche Existenz mit der Linie der Sicherheit“, notierte sie nicht ohne Genugtuung.

Außerdem machte sie sich als Förderin junger Künstler einen Namen und unterstützte neben dem bereits erwähnten Thomas Mann auch Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler oder Hermann Abendroth.
Als Ida Boy-Ed 1928 in Travemünde starb, hinterließ sie rund 70 Romane und Erzählbände sowie biografische Studien über Charlotte von Kalb, Charlotte von Stein oder Germaine de Staël.