Seit Novalis gilt die „Blaue Blume“ als Inbegriff romantischer Sehnsucht, doch in der Natur kommt sie erstaunlich selten vor. Und vielleicht verschwindet sie bald ganz aus unserem Blickfeld.
Gerade einmal sieben Prozent aller Blütenpflanzen werden vom menschlichen Auge als blau wahrgenommen. Und das auch nur, wenn sie ihre Bestäubung Insekten oder Vögeln verdanken. Die Blüten der von Wind und Regen bestäubten Pflanzen sind für uns in den meisten Fällen ohnehin nicht blau.
„Dieser Unterschied legt die Vermutung nahe, dass die Farbwahrnehmung der bestäubenden Organismen im Verlauf der Evolution die Herausbildung von Blütenfarben wesentlich beeinflusst hat,“ meint Prof. Dr. Anke Jentsch, Professorin für Störungsökologie an der Universität Bayreuth, die das Phänomen der blauen Blumen mit einem internationalen Forscherteam untersucht hat.
Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen (1802)
Bienen scheinen dabei eine Schlüsselrolle zu spielen, denn sie können Blautöne mit besonderer Intensität wahrnehmen. „Bienen sehen die Farbenpracht der Blütenpflanzen also ganz anders als andere Bestäubergruppen oder als wir Menschen. Sie werden von blauen Blüten besonders stark angezogen“, so Jentsch.
Aufwändige Blauproduktion
Obwohl die Interaktion der Pflanzen mit den Bestäubern offenbar der entscheidende evolutionäre Faktor ist, haben nur vergleichsweise wenige der von Insekten und Vögeln bestäubten Pflanzenarten blaue Blüten entwickelt. Diesen Befund begründen die Wissenschaftler mit der aufwändigen Produktion des blauen Blütenfarbstoffs. Neben sechs verschiedenen farbgebenden Substanzen, sogenannten Anthocyanen, seien an dem chemischen Prozess sechs korrespondierende Moleküle beteiligt, die zusammen mit Metallionen spezielle Ringstrukturen bildeten.
Einen solchen Aufwand würden nur solche Arten betreiben, die sich in einem harten Wettbewerb um Bestäuber durchsetzen müssten – etwa in gebirgigen Hochlagen. Für Blütenpflanzen, die in artenreichen Wiesen und Weiden heimisch sind, könnten blaue Blüten ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal im Werben um Insekten und Vögel darstellen.
Gefahr für Pflanzen und Bestäuber
Durch zunehmenden Flächenschwund und die moderne Landwirtschaft sind die Bestäuber nun massiv bedroht. Die Forscher befürchten, dass auch der ohnehin niedrige Anteil blauer Blütenpflanzen weiter zurückgeht. „Es gibt zahlreiche Indizien dafür, dass die Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen, der Einsatz von Kunstdünger, häufiges Mähen und eine intensive Weidewirtschaft zu Lasten artenreicher Vegetationen geht. So besteht die Gefahr, dass blaue Blumen fast gänzlich aus dem Landschaftsbild verschwinden“, warnt Dr. Justyna Giejsztowt aus Neuseeland, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Störungsökologie in Bayreuth.
Ein Gedicht als Ausgangspunkt einer naturwissenschaftlichen Studie
Die in „Frontiers in Plan Science“ veröffentlichte Studie wurde durch das Gedicht „Fragmentary Blue“ inspiriert, mit dem die Wissenschaftler die gesamte Abhandlung und einen kleinen kulturgeschichtlichen Streifzug eröffnen. Der amerikanische Lyriker und Pulitzer-Preisträger Robert Frost schrieb den Achtzeiler 1920 und stellte dem überwältigenden Blau des Himmels die nur fragmentarischen Blautöne auf der Erde gegenüber.