Die „Eekenpacht“: Oase des Widerstands gegen den Nationalsozialismus

In Lienen-Holperdorf wurde ein nur wenig bekanntes Kapitel des Dritten Reiches geschrieben: Ein unscheinbar wirkender Kotten entwickelte sich hier zu einem gemeinsamen Treffpunkt von Nazi-Gegnern der Arbeiterbewegung aus dem Osnabrücker wie auch dem Münsteraner Raum.

Mutiger und aufopferungsvoller Widerstand gegen den Nationalsozialismus konnte in den Jahren 1933 bis 1945 sehr unterschiedliche Formen annehmen. Gemeinsam war allen Aktivitäten, dass sie aufgrund der alltäglichen Gestapo-Überwachungen äußerst konspirativ stattfinden mussten. Hinter jedem und jeder konnte eine Person stecken, die sich als Spitzel betätigte. Bei Verteil- oder gar Plakataktionen im öffentlichen Raum drohte jederzeit Lebensgefahr. Besonders intern gehaltene Aktivitäten im vertrauten Umfeld blieben bis 1945 aber weitgehend unbehelligt. Ein Beispiel für derartige Aktivitäten bildet die sogenannte „Eekenpacht“.

Ausweichquartier im braunen Umfeld

Ein „antifaschistisches Ausweichquartier“ nennt der im Jahre 2004 verstorbene langjährige Bremerhavener Oberbürgermeister Werner Lenz in seinen 2006 posthum erschienenen Lebenserinnerungen „Gerade Wege gibt es nicht“ den oben genannten Ort. Lenz war gebürtiger Osnabrücker und Sohn des langjährigen ersten Bevollmächtigten der IG Metall, Franz Lenz, der zunächst Kommunist, später, wie sein Sohn Werner, zur SPD übertrat. Der überwiegende Teil der Lenz´schen Erinnerungen befasst sich mit Geschehnissen im Osnabrücker Raum.

Der Osnabrücker Historiker und Autor Volker Issmer hat sich, jenseits der biografischen Darstellung von Werner Lenz, bislang in besonderer Weise des Themas angenommen. Gemeinsam mit Lenz hat er zu dessen Lebzeiten auch einen Ortstermin am aktuellen Gebäude organisiert. Issmer beschreibt den Standort in seinen Ausführungen zum Thema „Osnabrücker Widerstand – eine Spurensuche“ im 2015 erschienenen Standardwerk „Topografien des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück“ (Hrsg. Thorsten Heese). Danach liegt das Gebäude am Ende des Holperdorper Tals Richtung Hagen-Gellenbeck bzw. Sudenfeld.

Anfang 1933, kurz nach der Machtübergabe an die Nazis am 30. Januar, übernahmen nach Darstellung von Lenz junge Osnabrücker Sozialistinnen und Sozialisten, die der SPD, der KPD oder der 1931 von ihr abgespaltenen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) angehörten, den unscheinbaren Kotten und möbelten ihn mit bloßen Händen auf. Sie schufen sich, so Lenz, „ein Domizil, in dem sie unbehelligt von den Schergen des NS-Staates ihre Wochenenden und Ferien solange verbringen wollten, bis der Nazi-Spuk vorüber war.“ Den Pachtzins übernahmen die Familien von Franz Lenz sowie die von Hans Lücke (1901-68). Von 1957 bis 1965 sollte Letzterer dem Deutschen Bundestag als SPD-Abgeordneter angehören. Lenz, der dem Parlament von 1961 bis 1965 angehörte, sollte später dort mit Lücke in jener Wahlperiode ein Wiedersehen in Bonn feiern. Aber all dies lag bei ihren Treffen in der Eekenpacht noch in ferner Zukunft.

Die Camouflage der Antifaschisten: 3 KPD-Leute, 4 SAP und der Rest Sozialdemokraten aus Münster und Osnabrück

Vor allem im Inneren des Kottens entwickelten sich immer wieder rege, aber auch selbstkritische Debatten darüber, wie es zum braunen Spuk, zur Machtergreifung der Nazis und später zum Krieg kommen konnte. Besonders endlos waren die Diskussionen darüber, wie jenes Deutschland der Zukunft aussehen sollte, sobald der Nazi-Spuk sein ersehntes Ende gefunden hatte. Eine hausinterne Bibliothek mit verbotener sozialistischer Literatur half dabei, eigene Thesen mit den nötigen Bezügen zu vertiefen. Issmer konnte jene Autoren in Erfahrung bringen, die auch offenkundig von jungen Eekenpacht-Besuchern eifrig und begeistert gelesen wurden: Marx und Engels, aber auch Remarque, Heine, Tucholsky, Ringelnatz, Schopenhauer oder Jack London.

Zusammen mit neu zur Runde gestoßenen Menschen sprudelten deshalb nur so die Ideen, um die Zukunft Osnabrücks, auch mit literarischen Erkenntnissen, in einem sehnsüchtig erhofften demokratisch-sozialistischen Deutschland zu planen. „Nach Hitler: Wir!“ lautete allerorten die selbstbewusste Parole, die sich vor allem Anhängerinnen und Anhänger der Arbeiterbewegung zu eigen machten.

Besonders eindringlich hat Werner Lenz die offenkundig sehr beliebten „Kottenfeste“ geschildert, in denen auch der nötige Humor in schweren Zeiten nicht zu kurz kam. Ein bekannter Grafiker und Künstler namens Heinrich Frerker, später einer der unzähligen Kriegstoten, trat dabei als Zauberkünstler auf. Ein anderes Programm bildeten Rollenspiele, Tänze, Lieder bis hin zu Moritaten. All dies bildeten Kulturformen, die in den Weimarer Jahren einschlägig zu Aktivitäten zählten, die insbesondere den Alltag der Arbeiterjugendbewegung geprägt hatten.

Konnte all dies geheim bleiben?

Von der Öffentlichkeit unentdeckt blieb das dargestellte Treiben tatsächlich keineswegs. Lenz schrieb allerdings: „Selbst die von der Musik angelockten Fremden, die von Zeit zu Zeit auftauchten, konnten hinter dem ausgelassenen Treiben nichts Auffälliges vermuten.“

Offenkundig waren es aber auch hauptamtliche Nazi-Beobachter, denen vermutete Aktivitäten in und außerhalb der Eekenpacht zu denken gaben. Volker Issmer, der die Geschehnisse auch im zweiten Band seiner Buchreihe „Fremde Zeiten – Unsere Zeit“ aufgearbeitet hat, fand im Zuge seiner intensiven Forschungen aufgrund einer Gestapo-Karteikarte über den Eekenpacht-Nutzer Goswin Stöppelmann heraus, dass der Ort bereits seit 1933 unter Beobachtung der Gestapo stand.

Eingetragen ist in der Karteikarte der Vermerk, dass der Kotten nach Nazi-Beobachtungen bereits als Ort „kommunistischer Versammlungen“ gedient hätte. Aus bislang noch nicht erforschten Gründen, dies bestätigt auch Issmer, haben die Nazis jedoch nie den Versuch gewagt, den Kotten und seine Nutzer „auszuheben“. Wäre dies geschehen, hätte dies für die Teilnehmenden höchstwahrscheinlich die Inhaftierung in einem Konzentrationslager bedeutet.

Anlässe für die NS-Machthaber, ihren bislang nur rudimentären Erkenntnissen auf den Grund zu gehen, ergaben sich im Laufe der Zeit womöglich auch immer weniger. „Unsichere Kantonisten“, wie Lenz senior einige Teilnehmende zu bezeichnen pflegte, begannen sich bereits nach den ersten Jahren rar zu machen. Die vermehrt bekannt gewordenen Verfolgungen zollten der Teilnahme ebenfalls ihren Tribut. Auch die zunehmende Einziehung männlicher Teilnehmer zum Kriegsdienst schien laut Lenz allmählich die Reihen zu lichten. Selbst die Familie Lenz begab sich in den letzten Kriegsjahren offensichtlich nicht mehr an jedem Wochenende in den konspirativen Kotten.

Späte Karrieren

Umso erstaunlicher ist es, welche Wege so manche der damaligen Gäste und Nutzenden nach 1945 einschlagen konnten. Werner Lenz selbst desertierte vom Kriegsdienst, versteckte sich über längere Zeit bis zum Kriegsende in der Eekenpacht und brachte es, wie erwähnt, später nicht nur bis zum OB von Bremerhaven, sondern, wie Lücke, auch zum Bundestagsabgeordneten. Ohne Franz Lenz wäre die Osnabrücker Gewerkschaftsgeschichte nach 1945 womöglich weit weniger erfolgreich verlaufen.

Ein anderer regelmäßiger Besucher war der damalige SAPler und vormalige Jungsozialist Friedel Hetling, der nach dem Kriege zunächst SPD-Landtagsabgeordneter, später Leiter der Bundesschule der IG Metall werden sollte. Goswin Stöppelmann wiederum sollte in der unmittelbaren Nachkriegszeit innerhalb der Osnabrücker Bezirksregierung als Dezernent zu denjenigen zählen, die sich mit besonders großem Engagement mit Entschädigungen von NS-Verfolgten, aber auch mit Entnazifizierungsfragen befasst haben.

Hans Wunderlich (1899-1977), der 1949 als Mitglied des Parlamentarischen Rates einer der Väter des Grundgesetzes werden sollte, war ebenfalls häufiger Gast und sogar unmittelbarer Nachbar in Nähe des Kottens. Gemeinsam mit seiner Frau, so Lenz, bewohnte er offensichtlich ein Haus nahe des Bauernhofes am Steinigerweg.

Wer weiß etwas über die Beteiligung der Münsteraner?

Insbesondere über Teilnehmende der Eekenpacht-Treffen, die aus dem Bereich Münster zur Gruppe stießen, ist innerhalb der Osnabrücker Forschung bislang wenig bekannt. Werner Lenz wies darauf hin, dass sie wegen der längeren, zumeist mit dem Fahrrad absolvierten Anfahrt vor allem in den Sommermonaten zugegen waren. Ab 1940 seien die Münsteraner ganz weggeblieben.

Volker Issmer nennt in seiner Abhandlung zum Osnabrücker Widerstand zwei Gewerkschafter aus Münster, die besonders oft in der Eekenpacht anzutreffen waren: Franz Gnegel und Karl Knie, der mit seiner Frau Susanne anreiste.

Kurzum: Wer nähere Hinweise zu den Personen und Umständen aus dem Bereich Münster geben kann, ist herzlich eingeladen, eine Mail an redaktion@kulturabdruck.de zu schreiben. Wir stellen auch gerne einen Kontakt zum Autor dieses Artikels her.