Diese Erle steht am Rande eines Fahrradweges, der sich auf einer ehemaligen Bahnstrecke durch die Felder zieht. Hier haben sich im Laufe der letzten 70 Jahre viele verschiedene Bäume eingefunden: Weiden, Wildkirschen und eben, weil es eine nasse Gegend ist, auch Erlen. Daneben stehen ein paar Eichen und Apfelbäume, die hier noch früher gepflanzt wurden. Die Erle hätte als Pionierbaum locker 120 Jahre alt werden können, aber im letzten Herbst wurde sie abgesägt. Vielleicht war sie morsch, vielleicht wuchs sie zu weit auf den Radweg.
Wo sie vorher stand, ist jetzt ein Loch in der Reihe der Bäume und zum ersten Mal konnte man vom Fahrrad aus auf die Feuchtwiesen sehen. So wie wir Menschen uns in der Regel an alles irgendwann gewöhnen, habe ich mich auch an das Loch und damit den neuen Blick gewöhnt. Ich habe kaum noch darauf geachtet – zu viele andere Pflanzen blühen gerade, schieben ihre neuen Sprosse hinaus oder zeigen ihre frischen Blätter, die rascheln, wenn man mit dem Rad vorbeifährt. Ich habe mich daran gewöhnt, dass da nichts mehr ist, wo früher die Erle stand.
Letzte Woche aber habe ich im Vorbeifahren gesehen, dass aus dem abgesägten Stamm der Erle viele kleine Büschel neuer Blätter hervorgucken. Die Erle war gar nicht tot, sie hat nur ihre Gestalt geändert – wenn auch nicht ganz freiwillig. Was können wir für das Schreiben daraus erkennen? Was sagt uns diese – bereits vorinterpretierte – Sicht auf die Natur? Veränderung ist Teil des Lebens. Wenn etwas weg ist, kommt dafür etwas Neues. Wenn etwas verschwindet, muss es nicht nur Verlust sein, es kann auch den Blick auf etwas Neues lenken. Veränderungen passieren dann, wenn wir nicht hinschauen. Wir können nicht alle Veränderungen um uns herum, beeinflussen, wir können nur beeinflussen, wie wir sie bewerten.
Wie wäre es also mit einer durch die Erle inspirierten Geschichte, in der unsere Protagonistin zuerst etwas Wichtiges verliert. Vielleicht den Job, einen Freund oder einen Gegenstad, der eine spürbare Lücke hinterlässt, dadurch aber den Blick auf etwas ganz anderes, vielleicht sogar Besseres freigibt? Oder mit einer Story, in der jemand die Hoffnung auf Veränderung oder Besserung schon aufgegeben hat, sei es in einer Beziehung oder Freundschaft, die ganze Sache erst mal abschiebt und ruhen lässt und dann später und überraschend die neuen Sprossen entdeckt?
Kostenlose Schreibwerkstatt
Wenn Sie Lust bekommen haben, aus Bäumen wie unserer Erle Geschichten zu machen, besuchen Sie den kostenlosen Workshop, der am 12. Juni 2022 im Rahmen des „Langen Tags der Stadtnatur“ in Hamburg angeboten wird.
Veranstalter ist die Bücherhalle Horn, wir schreiben im ➤ Horner Paradies direkt unter Bäumen! Anmeldung und weitere Informationen unter ➤ diesem Link.