Die Kamera hinter den Augen

John Huston war nicht nur einer der erfolgreichsten Filmregisseure des 20. Jahrhunderts. Seine Produktionen setzten auch in ästhetischer, psychologischer und gesellschaftlicher Hinsicht neue Maßstäbe. Die Dokumentation „John Huston – Filmkünstler und Freigeist“ beleuchtet das Phänomen Huston und geht der Frage nach, warum er seine Inspirationen und Ideen oft außerhalb der amerikanischen Teamfabrik suchte.

Die Liste seiner ikonographischen Meisterwerke ist so lang, dass eine fünfzigminütige Dokumentation Gefahr laufen muss, eine bloße Aufzählung zu sein. Der brillante Erstling „Die Spur des Falken“, mit dem er nicht nur den „Film noir“ prägte, sondern auch dem Freund Humphrey Bogart einen seiner größten Auftritte bescherte, verdient selbstredend angemessenen Raum. Das gilt aber ebenso für „Der Schatz der Sierra Madre“ (1948), „African Queen“ (1951) und „Moulin Rouge“ (1952), „Moby Dick“ (1956), „Denen man nicht vergibt“ (1960), „Misfits – Nicht gesellschaftsfähig“ (1961), oder „Die Nacht des Leguan“ (1964) und – wenn wir 20 Jahre einfach überschlagen – ganz sicher auch für das abschließende Trio „Unter dem Vulkan“ (1984), „Die Ehre der Prizzis“ (1985), und „Die Toten“ (1987).

In Marie Brunet-Debaines´ Dokumentation spielen all diese und noch weitere Titel eine wichtige Rolle, sie beleuchtet aber auch die Persönlichkeit Hustons, dessen Vorfahren aus Irland stammten, das für ihn zeit seines Lebens ein Sehnsuchtsort bleiben sollte. In jungen Jahren suchte er nach neuen und ganz eigenen Wegen. Huston arbeitete als Schauspieler, Kavallerieoffizier, Boxer und Landwirt und unternahm mehrere Anläufe im Filmgeschäft Fuß zu fassen.

Doch erst als er seine eigenen Vorstellungen umsetzen konnte und nicht mehr das Gefühl hatte, für einen bestimmten Zweck instrumentalisiert zu werden, wurde er zu dem stilbildenden Filmemacher, dem komplexe Charakter- und Gesellschaftsstudien ebenso überzeugend gelangen wie faszinierende Aufnahmen in freier Natur. Hustons Bildsprache war immer auf der Höhe des Sujets, oft realistisch, mitunter aber auch surreal verfremdet. Er selbst verglich die Abfolge von Bildern in einem „well made“ Film mit der eines Gedankenflusses. „Es ist, als hätte man eine Kamera hinter seinen Augen und die Augen projizieren den Film, den man sehen will, dann auf die Leinwand.“

Marie Brunet-Debaines beleuchtet in dieser mit zahlreichen O-Tönen angereicherten Würdigung aber auch weniger bekannte Seite des Filmemachers. Nach seinen ersten Regieerfolgen war Huston weiterhin als Schauspieler, Drehbuchautor und Dokumentarfilmer tätig. Besonders bemerkenswert sind Arbeiten wie „Die Schlacht um San Pietro“ (1945), in denen sich Huston mit den psychischen Folgen von Krieg und Gewalt auseinandersetzte und Auswirkungen der posttraumatischen Belastungsstörung zeigte, die erst viele Jahrzehnte später von einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden.

Sendetermine – Die Dokumentation und drei Filme

Der TV-Sender arte zeigt die Erstausstrahlung der Dokumentation „John Huston – Filmkünstler und Freigeist“ am 5. Dezember 2021 um 22.10 Uhr. Bis zum 3. Mai 2022 ist  sie online verfügbar.
Bereits um 20.15 Uhr ist auf arte der John Huston-Western „Denen man nicht vergibt“ mit Audrey Hepburn und Burt Lancaster in den Hauptrollen zu sehen.
Weiter geht´s am 6. Dezember um 20.15 Uhr mit „Misfits – Nicht gesellschaftsfähig“, dem letzten Film der Leinwandikonen Marilyn Monroe und Clark Gable.
Direkt im Anschluss (22.15 Uhr) steht John Hustons letzte Arbeit auf dem Programm. Mit „Die Toten“, der Verfilmung einer Erzählung aus James Joyce´ „Dubliners“, kehrte er am Ende des Lebens in die Heimat seiner irischen Vorfahren zurück.
Für alle drei Filme bietet arte im Dezember noch weitere Sendetermine an.