Alessandro Scarlatti gehörte zu den bedeutendsten Komponisten der Barockzeit, doch populär wurden seine Werke nie. Daran wird auch die Aufnahme von fünf zwischen 1702 und 1725 entstandenen Kantaten wenig ändern. Exquisit ist sie trotzdem.
Im Rom des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts waren Kantaten für Singstimme und Basso continuo eine Möglichkeit, die wiederholten päpstlichen Opernverbote zu umgehen. Für Komponisten wie Alessandro Scarlatti ging ihre Bedeutung allerdings bald darüber hinaus. Die kleinformatigen Werke eigneten sich in besonderer Weise, um den Idealen der „Accademia degli Arcadi“ nachzueifern.
Die exklusive Gruppe, die Scarlatti im Jahr 1706 aufnahm, orientierte sich an den Errungenschaften der Antike, huldigte Dante und Petrarca und verlangte von zeitgenössischen Künstlern Einfachheit, Klarheit und Natürlichkeit in der immer neuen Darstellung menschlicher Affekte. Erzählungen mit Anfang und Ende, Spannungsbögen, Höhe- und Wendepunkte erwartete sie nicht und so begegnen wir in unzähligen Werken den immergleichen Hirten, die um ihre verlorenen oder ungetreuen Geliebten klagen.
Dass der Cembalist Philippe Grisvard allein von Scarlatti rund 480 solcher Kompositionen ermittelt hat, ist unter den genannten inhaltlichen und besetzungstechnischen Beschränkungen erstaunlich – und für den Gelegenheitshörer nicht unbedingt ein Grund zur Freude. Es bedarf einer intensiveren Beschäftigung, um signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Werken zu ermitteln und der Erfolg ist nicht immer garantiert.
Wer sich auf Scarlattis nie endende und doch immer neu beginnende Reise durch die Nuancen menschlicher Gefühlsregungen einlässt, wird allerdings mit Hörerlebnissen belohnt, die das Prädikat nicht-alltäglich redlich verdienen. Die Mezzosopranistin Lucile Richardot entwirft nuancenreichste, musikalisch und emotional hochauflösende Porträts, die Philippe Grisvard kongenial auf dem Cembalo spiegelt. Der Spezialist für historische Tasteninstrumente lässt sich auch als Solist vom schier unerschöpflichen Scarlatti-Oeuvre inspirieren. Seine Einleitungen und Zwischenspiele bilden mal überbordende, mal hauchzarte Verbindungsstücke zwischen den arkadischen Kantaten.
Alessandro Scarlatti: Cantate da Camera, Audax