Die kranke Macht

Händels Oratorien können auch auf der Opernbühne eine phänomenale Wirkung entfalten, vor allem wenn sie eine so herausragende Umsetzung erfahren wie „Saul“ 2021 im Theater an der Wien. Der Mitschnitt beleuchtet die Qualitäten der Produktion noch einmal intensiver.

Der Priester knabbert am Schokoladenkuchen, doch die Königskinder haben längst zu Hochprozentigem gegriffen, um die Launen des Vaters noch ertragen zu können. Hat sich der Hoffnungsträger früherer Tage doch zu einem skrupellosen Gewaltherrscher gewandelt, der auch in den eigenen vier Wänden ein tyrannisches Regiment führt, das keinen Widerspruch duldet.

Claus Guth inszeniert die biblische Geschichte nicht nur als persönliche Tragödie eines von Neid und Missgunst zerfressenen Mannes, den die eigenen Dämonen in den Abgrund reißen, sondern auch als Drama einer Familie, die im Schatten des (selbst)zerstörerischen Oberhaupts ein Stück ihres eigenen Lebenstraums zu retten versucht.

Dabei verfallen Merab, Michal und Jonathan gleich dem nächsten vermeintlichen Heilsbringer. David, der junge, strahlende Held, bringt die ersehnte Freiheit, schafft aber auch neue Abhängigkeiten. Emotionale, sexuelle und – wie sich bald zeigen wird – auch politische. Für das alles zahlt er eben den Preis der Macht, der schon Saul in den Wahnsinn getrieben hat. Die rasenden Kopfschmerzen, die den alten Herrscher in Claus Guths Inszenierung über die Bühne treiben, befallen binnen kurzer Frist auch seinen Nachfolger.

Auf Blue-ray fehlt zwangsläufig der Moment des unmittelbaren Erlebens, der Zuschauer gewinnt dafür aber seltene Einblicke in Gestik und Mimik, die in der atmosphärisch dichten und ungeheuer fesselnden Aufführung eine annähernd große Rolle spielen wie Bewegung und Gesang.

Zentrum des dramatischen Geschehens ist die Titelfigur, der Florian Boesch seinen imponierenden Bassbariton und eine großartige Bühnenpräsenz leiht. Der Countertenor Jake Arditti (David) erweist sich nicht nur stimmlich als unnachgiebiger Gegenspieler. Auch die herausfordernden Rollen der Geschwister sind mit Anna Prohaska (Merab), Giulia Semenzato (Michal) und Rupert Charlesworth (Jonathan) hochkarätig besetzt. Abgerundet wird die musikalische Ausnahmeleistung durch den viel beschäftigten und perfekt einstudierten Arnold Schönberg Chor (Chordirektor: Erwin Ortner) und das Freiburger Barockorchester unter der stets versierten Leitung von Christopher Moulds.

Georg Friedrich Händel: Saul, DVD/Blue-ray, Unitel Edition