Die linke Hand ist auch die rechte

Was für Paul Wittgenstein ein furchtbares persönliches Drama war, schlug in der Musikgeschichte einige ganz neue Kapitel auf. Zahlreiche Komponisten schrieben Werke für den Ausnahmepianisten, der im Ersten Weltkrieg seine rechte Hand verloren hatte. Wittgensteins eifrigster Unterstützer Josef Labor, der für ihn elf Partituren schuf, ist bis heute wenig bekannt. Drei seiner Konzertstücke sind nun als Weltersteinspielung erschienen.

Verglichen mit Wittgensteins berühmten Auftragnehmern – Maurice Ravel, Erich-Wolfgang Korngold, Richard Strauss, Paul Hindemith, Sergej Prokofjew oder Benjamin Britten – gehörte der 1842 in Böhmen geborene Josef Labor einer anderen Generation, ja einer anderen Epoche an. Sein Vater hatte noch Franz Schubert gekannt, er selbst erblindete im Alter von drei Jahren und teilte so Wittgensteins Erfahrung eines herausragenden musikalischen Talents und einer schwerwiegenden körperlichen Einschränkung.

Komponist und Pianist verband überdies die tiefe Verwurzelung in Klassik und Romantik, die aus Labors anspielungsreichen Kompositionen nicht wegzudenken ist. Die drei aufgenommenen, zwischen 1915 und 23 entstandenen Konzertstücke, wirken denn auch ein wenig aus der – wie Labor über dem ersten Werk notierte: „ernsten“ – Zeit gefallen. Doch auch wenn es ihnen an avantgardistischer Aufbruchstimmung mangelt und der kritische Wittgenstein hier und da den Klavierpart optimieren wollte, handelt es sich doch um elaborierte Kompositionen von herausragender Qualität, die immer neue Wege finden, um technische oder harmonische Einschränkungen des „Linkspianisten“ orchestral auszugleichen.

„Nur ein solcher Kenner des Kontrapunktes, der zugleich ein warmfühlendes, höheren Eingebungen offenes Herz besitzt, vermag einem allgemein ansprechenden melodischen Grundgedanken eine so große Menge ergiebiger Ideen abzugewinnen“, schrieb der einflussreiche Wiener Musikkritiker Max Kalbeck nach der Uraufführung des Konzertstücks I Ende 1916, eher er auch dem Interpreten ein besonderes Lob zuteil werden ließ: „Sein phänomenaler Erfolg hat gezeigt, dass die linke Hand bei ihm auch die rechte ist.“

Der mit selten gespielten Partituren bestens vertraute Oliver Triendl ist hier in seinem Element. Mit spürbarer Entdeckerfreude, technischem Geschick und perfektem Timing gibt er den drei Konzertstücken Kontur und Gehalt. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Eugen Tzigane erweist sich dabei als ebenso kompetenter wie sensibler Partner. Nach den ebenfalls bei Capriccio erschienenen Einspielungen mit Kammermusik von Josef Labor ist diese CD ein weiterer diskographischer Meilenstein.

Josef Labor: Konzertstücke Nr. 1-3 für Klavier linke Hand & Orchester, Capriccio