Die Machtübertragung

Braune Relikte (4): „VE 301“.

Schon der erste Tag der NS-Herrschaft – der 30. Januar 1933 – markierte in seiner bewussten Inszenierung, dass die Nationalsozialist*innen ihre Macht auf einer ton- und bildmächtigen Propaganda aufbauten. Wichtiges Ziel war es, die errungene Macht durch „Gleichschaltung“ und ideologische Manipulation so schnell und so breit wie möglich in die Bevölkerung zu tragen. Das wichtigste Medium dazu war, neben Presse, Film und großen Propagandaausstellungen, der Rundfunk.

Am 30. Januar 1933 betraute Reichspräsident Hindenburg Hitler mit der Reichskanzlerschaft einer Koalitionsregierung aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm. Die Nationalsozialist*innen feierten diese Machtübergabe als „Machtergreifung“ in Berlin mit einem groß inszenierten Fackelzug. Das Datum wurde propagandistisch als Beginn eines neuen „Tausendjährigen Reiches“ stilisiert. Nach dem „ersten“ mittelalterlichen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und dem „zweiten“ 1871 unter preußischer Führung gegründeten wilhelminischen Kaiserreich sollte nun das „Dritte Reich“ unter nationalsozialistischer Regie Deutschland zu neuer Größe führen. Doch das von ideologischem Größenwahn getriebene Vorhaben sollte nach zwölf Jahren in einer weltweiten Katastrophe und einem besiegten, zerstörten und geteilten Land enden.

Zur gesteuerten Ideologisierung der Bevölkerung wurden die Informationsmedien gleichgeschaltet. Mit dem „Schriftleitergesetz“ vom 4. Oktober 1933 mussten sich die Presse-Redakteure künftig unabhängig von ihren Verlagen allein gegenüber dem NS-Staat verantworten. Ein weiteres wichtiges Medium zur Verbreitung der NS-Ideologie war der noch junge Rundfunk. Da dessen Verstaatlichung bereits 1932 politisch durchgesetzt worden war, fiel den Nationalsozialist*innen nach der Machtübertragung die Gleichschaltung leicht. Mit dem „Volksempfänger“ veranlasste Propagandaminister Goebbels die Entwicklung eines preiswerten, für jeden Haushalt erschwinglichen Radiogerätes, zu dessen baugleicher Produktion sich alle großen Hersteller verpflichteten.

Der Name „Volksempfänger“ war in mehrfacher Hinsicht programmatisch. Einerseits verwies die Typenbezeichnung „VE 301“ auf den Beginn der NS-Herrschaft am 30. Januar 1933. Andererseits sollten die über das Ministerium für Propaganda und Volksaufklärung unter strenger Kontrolle und Regulierung verbreiteten Inhalte jeden erreichen. Das Gerät kostete ab 76 RM und wurde der Öffentlichkeit 1933 auf der Berliner Funkausstellung erstmals vorgestellt. Obwohl die Rundfunkgebühr monatlich 2 RM betrug, stieg die Ausstattung der Haushalte von 25% (1933) auf 65% im Jahre 1941. Seit 1938 wurde neben dem Volksempfänger der kleinere und noch günstigere „Deutsche Kleinempfänger“ („DKE GW 110“; SNS, E 2989) zum Preis von 35 RM hergestellt. Das Gerät wurde in Anspielung auf den „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ hinter vorgehaltener Hand auch als „Goebbelsschnauze“ bezeichnet; ein Zeichen dafür, dass Teilen der Bevölkerung die beabsichtigte politische Beeinflussung mit Hilfe des Rundfunks bewusst war.

Entgegen der politischen Absicht, die Bevölkerung über das Informationsmonopol einseitig zu beeinflussen, konnten mit einem Zusatzgerät auch sog. Feindsender gehört werden. Das spielte insbesondere während des Zweiten Weltkrieges eine Rolle, in dem die Propaganda zu den wichtigsten Kriegsmitteln gehörte. Mit den Geräten wurden kleine Warnschilder ausgegeben, die ausdrücklich auf das Verbot, Feindsender zu hören, hinwiesen: „Denke daran: Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen“. Obwohl das Abhören „feindlicher Sender“ unter Strafe gestellt wurde, informierten sich viele dennoch heimlich über das Ausland, z.B. mit Hilfe des britischen Senders BBC.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.