Die Not in der Nische

Der Haupteingang des Museums für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) in Dortmund wird von zwei Nischen flankiert. In der linken Nische steht die drei Meter hohe Skulptur „Not“ von Friedrich (Fritz) Bagdons, die rechte ist leer. Das expressionistische Werk entstand in den Jahren 1923/24 als Bauplastik des Portals des ehemaligen Sparkassengebäudes, das Architekt Hugo Steinbach 1921 entworfen und 1924 fertiggestellt hat. Seit 1983 wird das Gebäude als Museum genutzt und ist als eingetragenes Baudenkmal in der Denkmalliste der Stadt Dortmund gelistet.

Der Bildhauer Friedrich Bagdons, 1878 in Kowaren geboren, absolvierte 1895-1902 eine Ausbildung zum Holzbildhauer, unter anderem am Berliner Kunstgewerbemuseum. 1905 erhielt er einen Ruf als Leiter der Bildhauerklasse an die Dortmunder Handwerker- und Kunstgewerbeschule. Er übernahm dort 1914-1918 stellvertretend das Direktorat.
Friedrich Bagdons schuf in Dortmund, wo er bis zu seinem Lebensende 1937 tätig war, viele Bauplastiken, Brunnen und Kriegerdenkmale. Besondere Bekanntheit erlangte dabei seine Nagelfigur „Eiserner Reinoldus“ (1915), die in den Arkaden des Alten Rathaus stand. Sein letzter öffentlicher Auftrag war ein Standbild von Paul Hindenburg (1935) für das sogenannte „Reichsehrenmal“ Tannenberg, das 1945 zerstört wurde.

Die Skulptur am Portal des Museums – auch „Symbolische Männer- und Frauengestalt“ oder „Trauer“ genannt – zeigt einen Mann und eine Frau, die leicht bekleidet auf einer fünfeckigen Plinthe über einer zylinderförmigen Basis stehen. Ihre abgemagerten Körper sind im Brust- und Hüftbereich von Stofffetzen bedeckt, die bis zu ihren Füßen herabreichen. Das Paar wird durch einen kannelierten Pfeiler mit Pfeilspitze voneinander getrennt. Ihr Blick ist auf den Boden gerichtet, ihre Körperhaltung wirkt bedrückt: Der Mann stützt seinen Kopf auf seine rechte Hand, die Frau greift mit ihrer linken Hand an ihr rechtes Handgelenk. Beide stützen sich am Pfeiler ab und lehnen ihren Kopf an ebendiesen. Es entsteht der Eindruck von Not, Trauer, Kraft- und Hoffnungslosigkeit. Das Werk verweist symbolisch auf die Armut und Hungersnot der deutschen Bevölkerung während der Inflationszeit in den frühen 1920er Jahren. Die zugehörige Inschrift „WUCHTEND UND WEH: WIE EIN ALP LASTET DIE NOT AUF DEM VOLKE“ lässt daran keinen Zweifel.

Als das Sparkassengebäude an der Hansastraße aufgegeben wurde, zog die Skulptur 1969 zum Freistuhl um, wo ein neues moderneres Sparkassengebäude errichtet worden war. Eine Bronzetafel wies auf den ursprünglichen Standort hin. Nachdem das ehemalige Sparkassengebäude von 1978 bis 1983 in ein Museumsgebäude umgewandelt worden war, kehrte sie allerdings als Geschenk der Dortmunder Sparkasse wieder an den ehemaligen Standort zurück. Leider sind Elemente des Werks im Laufe der Zeit verloren gegangen, wobei unklar ist, ob es sich um Kriegsbeschädigungen oder um Verluste im Kontext der geschilderten Versetzungen handelt. Historische Fotos können dokumentieren, dass die rechte Nische ebenfalls eine Skulptur enthielt. Sie trug den Titel „Erwachen aus der Not“ und zeigte einen Mann und eine Frau mit erhobenem Haupt und aufrechter Körperhaltung. Heute befindet sich in dieser Nische nur ein Briefkasten. Des Weiteren wiesen beide Skulpturen Sockel auf, die ebenfalls verloren gegangen sind.

Als 2008 die Fassade des Museums saniert wurde, erwog man eine Rekonstruktion der Skulptur. Aufgrund hoher Kosten und einer potenziellen Authentizitätsschwächung des Überlieferungszustandes des denkmalgeschützten Gebäudes, entschied man sich allerdings dagegen. Allein die Inschrift über der Nische weist noch darauf hin, dass hier etwas fehlt. Hier ist zu lesen: „STREBT EIN JEGLICHES GLIED STEIGT AUCH DAS GANZE EMPOR“
Bedauerlicherweise ist die Skulptur „Not“ lediglich in einem schlechten Zustand erhalten geblieben. Die Skulptur musste teils oberflächliche Verluste erleiden und ein Großteil der Details ist aufgrund von Umwelteinflüssen verwittert.