Die Ohnmacht der Mächtigen

Gleich viermal hat Gaetano Donizetti die Geschicke der Tudors auf der Opernbühne verhandelt. Das letzte Kapitel dieser keineswegs als Serie angelegten Werkreihe gehört „Roberto Devereux“ und erzählt vom Ende der Liebe, der Macht und des Lebens. Die gefeierte Neuinszenierung des Donizetti Opera Festival ist nun auf DVD und Blu-ray erschienen.

Die Zeit der großen Elisabeth ist fast vorüber. Zwar sitzt die Königin noch immer auf dem englischen Thron, doch die Fäden ziehen längst wieder die machtgierigen Granden des Reiches. Es sind ausschließlich Männer. Männer wie ihr designierter Nachfolger Jakob, der unbarmherzige Lord Cecil oder ihr verflossener Geliebter Roberto Devereux, der die gemeinsame Zeit längst vergessen und sich in Sara, die Gattin seines besten Freundes, verliebt hat.

Nun taumeln die Frauen durch ein Gemisch aus trüben Hoffnungen und verblassenden Erinnerungen, während die Männer Fakten schaffen und sich missliebiger Konkurrenz entledigen. Regisseur Stephen Langridge setzt diese zeitlose Tragödie mit Bühnen- und Kostümbildnerin Katie Davenport insofern höchst intelligent in Szene, als sämtliche Tudor-Accessoires ihren historischen Vorbildern nicht näherkommen wollen als Salvadore Cammaranos Libretto den tatsächlichen Ereignissen des Jahres 1601. Kostüm und Dekoration tun nur so als ob und da hier nichts so ist, wie es scheint, steht im Grunde alles zur Disposition. Aber kann eine Gesellschaft funktionieren, wenn Privatinteresse und Staatsräson, Treue und Verrat keine festen Größen sind, sondern vom Standpunkt der Betrachter abhängen und nach Gutdünken neu definiert werden?

Eine spannende Frage, zweifellos. Umso mehr ärgert die aufdringliche Symbolik, die dem Publikum offenbar noch einmal erklären soll, dass hier ein Mensch mit ehemals unumschränkter Herrschaftsgewalt vor dem Abgrund und dem Nichts steht. Sara hat Elisabeth nicht nur den Geliebten abspenstig gemacht, bei Langridge rundet sie die Demütigung der gekrönten Nebenbuhlerin auch noch durch eine fortgeschrittene Schwangerschaft ab. Doch damit nicht genug: Die Königin wird von Totenschädeln, Stundengläsern und einem wandernden Skelett umgeben, ehe im dritten Akt auch noch ihr blutroter Thorn umstürzt.

Das ist zu viel des Unguten und fällt dennoch kaum ins Gewicht. Denn musikalisch lässt die Produktion aus Bergamo keine Wünsche offen. Jessica Pratt (Elisabetta) gestaltet mit ihrem hellen Sopran ein packendes, psychologisch vielfach verästeltes Rollenporträt, das in puncto Dramatik und Eindringlichkeit die Fußstapfen berühmter Vorgängerinnen wie Beverly Sills, Montserrat Caballé oder der unvergessenen Edita Gruberová nicht zu scheuen braucht. Zum exquisiten Ensemble gehört außerdem die wunderbare italienische Mezzosopranistin Raffaella Lupinacci (Sara), Simone Piazzola mit seinem charaktervollen Bariton (Duca di Nottingham) und der hier eher gequälte als strahlende, aber gleichwohl klangschöne Tenor John Osborne (Roberto).

Neben den Solisten wird auch das perfekt disponierte Orchestra Donizetti Opera länger im Gedächtnis bleiben. Seine Darbietung ist so facettenreich, dass der Belcanto-Komponist ein wenig zum Musikdramatiker mutiert. Dirigent Riccardo Frizza hat sich für die Originalfassung von 1837 entschieden und damit unter anderem die pathetische, von der englischen Nationalhymne umwaberte Ouvertüre geopfert, die Donizetti für spätere Aufführungen in Paris hinzufügte. Eine historisch nachvollziehbare und auch geschmackssichere Idee, die dazu beiträgt, das komplexe dramatische Geschehen noch mehr zu konzentrieren.

Gaetano Donizetti: Roberto Devereux: DVD und Blu-ray, Dynamic