Das Thema und Teile des Textes sind identisch, doch Georg Philipp Telemann und Johann Heinrich Rolle vertonten die im 2. Buch Mose geschilderte Rettung der Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten auf ganz unterschiedliche Weise. Die Einspielung beider Werke unter Peter Van Heyghen ermöglicht nun einen direkten Vergleich.
Telemann brachte „Das befreyte Israel“ 1759 im Hamburger Drillhaus zur Uraufführung, Rolles „Die Befreyung Israels“ wurde 15 Jahre später in Magdeburg aus der Taufe gehoben. Die Textgrundlage lieferte in beiden Fällen Friedrich Wilhelm Zachariaes, dessen Libretto für die spätere Fassung allerdings bearbeitet und ergänzt wurde. Der Magdeburger Prediger Christoph Christian Sturm fügte in die Schilderung der biblischen Ereignisse und das allgegenwärtige Lob Gottes für die Rettung seines auserwählten Volkes die Perspektive von vier Augenzeugen ein. Die Ängste und Hoffnungen, mit denen Moses, seine Frau Zipora und die Schwester Mirjam sowie der Diener Josua auf die Geschehnisse reagieren, machen das Magdeburger Werk zu einem „musikalischen Drama“, während Telemanns deutlich kürzere Vertonung als „musikalisches Gedicht“ charakterisiert wird.
Es gibt aber auch eine Reihe auffälliger Gemeinsamkeiten, die zum Teil sicher aus dem von Ralph-Jürgen Reipsch im Booklet hervorgehobenen Umstand herrühren, dass Johann Heinrich Rolle den 35 Jahre älteren Kollegen nicht nur persönlich kannte, sondern ihn auch als „Vater der Music“ verehrte. Von zwei Ausnahmen abgesehen setzt der Magdeburger wie sein Hamburger Kollege auf kurze, klar konturierte Arien, Rezitative und (vorwiegend homophon gehaltene) Choreinsätze, sehr plastische lautmalerische Effekte und eine eingängige Melodiegestaltung, die den Text unterstützt und illustriert, aber nie von ihm ablenkt.
Dem Belgier Peter van Heyghen gelingt mit dem absolut stilsicheren Il Gardellino Vocal Ensemble und Baroque Orchestra eine beeindruckende Einspielung beider Werke. Auch das Solistenensemble lässt keine Wünsche offen. Mit der OPUS Klassik-Preisträgerin 2022 Miriam Feuersinger (Zipora) sowie Elvira Bill (Mirjam), Daniel Johannsen (Joshua), André Morsch (Moses) und Sebastian Myrus (erste Basspartie in Telemanns „Das befreyte Israel“) konnten gleich fünf Sänger gewonnen werden, die sich mit der Musik des 18. Jahrhunderts und ihren Aufführungsbedingungen bestens auskennen.
Johann Heinrich Rolle: Die Befreyung Israels / Georg Philipp Telemann: Das befreyte Israel, Passacaille