John Ironmonger hat es wieder getan: Mit „Der Eisbär und die Hoffnung von morgen“ legt der britische Autor eine Veröffentlichung vor, die eines der brisantesten Themen unserer Zeit in einen Roman verpackt. Ohne moralischen Zeigefinger, absolut nahbar.
Eine kleine Küstenstadt in Cornwall, ein Pub am Mittsommerabend. Hier treffen zwei Männer aufeinander, die grundlegend unterschiedliche Weltauffassungen vertreten – ein Student, der sich als Klimaaktivist engagiert und ein Politiker, der als überzeugter Klimaleugner bekannt ist. Die beiden Männer geraten aneinander und gehen eine Wette ein: In 50 Jahren wollen sie sich wiedertreffen, um ihre Auffassung auf den Prüfstand zu stellen. Die Wette geht in den Sozialen Medien viral und wird die beiden Männer tatsächlich die folgenden 50 Jahre begleiten.
Abbild unserer Gesellschaft
John Ironmonger erzählt die Geschichte zweier Menschen, die sich in einigen Punkten ähnlich sind und dennoch unterschiedlicher nicht sein könnten. Die beiden Protagonisten Tom Horsmith und Montague Causley stammen aus demselben Ort, haben sogar am gleichen Tag Geburtstag. Was sie trennt, sind 20 Jahre Altersunterschied und die Tatsache, dass sie in einer der drängendsten Fragen unserer Zeit zwei konträre Standpunkte vertreten.
Genau hierdurch schafft John Ironmonger einen nahbaren Zugang zur Thematik. Denn die beiden Charaktere treten stellvertretend für unsere Gesellschaft auf. Unterschiedliche Perspektiven und Lebenswege werden aufgezeigt. Ebenso wie das Dilemma, das aus der Haltung beider Persönlichkeiten resultiert. Die zentralen Fragestellungen, die über dem Plot schweben, lauten: Können Antagonisten zu Verbündeten werden? Und wie schaffen wir es, gemeinsam Lösungswege in eine lebenswerte Zukunft zu beschreiten?
Was zunächst auffällt: Eine konkrete Zeitangabe für die einzelnen Ereignisse fehlt. Vermutlich, um das Geschehen übertragbar zu machen und somit noch realistischer zu gestalten. Die Art und Weise, wie die Diskussionen um die sich zuspitzende Krisensituation geführt wird, ist (leider) auf jede Herausforderung zu übertragen, vor der sich unsere Gesellschaft behaupten muss.
Die Ausgangslage der fiktiven Handlung dürfte sich aufgrund der beschriebenen Ereignisse gleichwohl nah an unsere Gegenwart anlehnen: Das arktische Eis schmilzt, die Gletscher verschwinden nach und nach, der Meeresspiegel steigt und die Extremwetterereignisse nehmen zu. Während ein Teil der Bevölkerung die Gefahrensituation begreift, potenzielle Konsequenzen erkennt und nach Lösungsansätzen sucht, verweigert der andere Teil Erkenntnis und Reaktion. Kognitive Dissonanz, schlichte Ignoranz oder mangelnde Kenntnis der Faktenlage können von den Lesenden als Ursachen erkannt werden, ohne dass der Erzähler sie explizit benennen muss.
50 Jahre (Lebens-)Geschichte
Die Handlung hat John Ironmonger in mehrere, durch Zeitsprünge getrennte Einheiten unterteilt: Der Plot startet mit der Wette in einem Pub. Die beiden Protagonisten treffen hier das erste Mal aufeinander. In den folgenden Jahren begegnen sie sich immer wieder und zeigen so die Veränderungen, die sich in der Zwischenzeit persönlich, politisch und ökologisch ergeben haben.
Es wird deutlich, dass sich die Lebensrealität beider Personen verändert, sie aber ihrem eigenen Weg dennoch treu geblieben sind. Auf der einen Seite der Aktivist, der sich dem Schutz des Planeten verschrieben hat. Auf der anderen Seite der Politiker, der immerhin eine Alibi-Agenda verfolgt, obwohl er das Offensichtliche nicht wahrhaben möchte, die wissenschaftliche Faktenlage ignoriert und den Klimawandel leugnet. Zumindest die meiste Zeit seines Lebens. Durch die beiden Antagonisten Tom Horsmith und Montague Causley werden 50 Jahre gespiegelt, während derer die Welt eine enorme Veränderung durchläuft.
Die Handlung tangiert immer wieder Schicksalsschläge der Figuren und weltpolitische Veränderungen, ohne jemals ausufernd zu werden. Hierdurch wird die Analogie zur Realität hervorragend greifbar. Wer schon John Ironmongers Werk „Der Wal und das Ende der Welt“ gelesen hat, wird auf bekannte Protagonist:innen und Schauplätze treffen. Eine schöne Idee, die einen atmosphärischen und emotionalen Brückenschlag ermöglicht. Aber auch ohne Kenntnis dieses Romans ist es ohne weiteres möglich, sich in dem kleinen kornischen Küstenort zurechtzufinden.
Tatsächlich liegt hier eine der Stärken des Autors: John Ironmonger vermag es, Personen und Orte mit wenigen Worten zu beschreiben, und ihnen dennoch eine enorme Tiefe und originelle Charaktereigenschaften zu verleihen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass den Themen, die er in seinen Büchern behandelt, eine gewisse Schwere innewohnt, schafft er etwas Besonders: Ironmonger bringt Menschlichkeit in ihren zahlreichen Facetten zur Sprache und lässt die thematisierte Ambivalenz immer wieder lebendig werden.
Lesenswerter Roman mit Tiefgang
Wie schon in den beiden Vorgängern „Der Wal und das Ende der Welt“ und „Das Jahr des Dogong“ zeichnet John Ironmonger ein Bild unserer Gesellschaft, das Hoffnung in Zeiten von Krisen, die beinahe unüberwindlich scheinen, aufscheinen lässt. Dabei zeigt er einen Weg auf, den die Lesenden selbst beschreiten müssen, um ihre Schlüsse aus den Schilderungen zu ziehen. „Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen“ ist ein grandioses literarisches Werk und ein Must-Read für alle, die hin und wieder daran erinnert werden müssen, dass wir als Gesellschaft mehr zu leisten fähig sind, als es manchmal den Anschein hat.
John Ironmonger: Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen, S. Fischer Verlag, 24 €