Die Zementierung des unsozialen Wohnungsmarkts

Ob das Thema im bevorstehenden Bundestagswahlkampf ausreichend Berücksichtigung findet, lässt sich noch nicht abschätzen. Unabhängig davon gehört die Aufgabe, gerade in den Großstädten bezahlbaren Wohnraum für möglichst viele Menschen zu schaffen, zu den wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre. Aktuell sieht die Lage nicht gut aus.

Denn fast die Hälfte der Haushalte in deutschen Großstädten tragen eine prekär hohe Belastung, außerdem fehlen hier mehr als 1,5 Millionen leistbare und angemessene Wohnungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Das Forschungsteam um den Stadtsoziologen Dr. Andrej Holm hat dafür die neuesten Daten des Mikrozensus (2018) ausgewertet.

Demnach müssen 49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttowarm) zu bezahlen. Eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld sind bereits eingerechnet.

Hamburg-Steilshoop

Auch wenn die mittlere Mietbelastungsquote, der sogenannte Medianwert, noch bei 29,8 Prozent liegt, gerät der wichtige Grenzwert von 30 Prozent, der Mietern genug Raum für sonstige Konsumaktivitäten ließe, für viele Menschen immer mehr außer Sichtweite. 2,2 Millionen Haushalte müssen mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden, fast eine Million sogar mehr als die Hälfte.

Weitere Polarisierung der Wohnungssituation

Dass die Belastungsquoten in den vergangenen Jahren durch Einkommenssteigerungen etwas reduziert werden konnten, ändert nach Einschätzung der Forscher nichts an den weiter bestehenden sozialen Unterschieden. In Haushalten an der Armutsgrenze, die maximal 60 Prozent des mittleren (Median-) Einkommens aller Großstädter zur Verfügung haben, betrage die Mietbelastung im Mittel rund 46 Prozent.

Doch die Medaille hat noch eine andere Seite und auf der müssen Mieterhaushalte mit mehr als 140 Prozent des Median-Einkommens nur knapp 20 Prozent für die Warmmiete ausgeben. Man könne deshalb von einer „weiteren Polarisierung der Wohnungssituation“ ausgehen, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Zu klein oder zu teuer

Der Blick auf die Details macht das Ergebnis nicht erfreulicher: Laut Mikrozensus leben mehr als 7,5 Millionen Menschen in Wohnungen, die für sie zu klein oder zu teuer sind – gemessen an der im Sozialrecht angedachten Quadratmeterzahl und mit Blick auf das 30-Prozent-Kriterium für die Warmmiete. Die Quote dieser Haushalte ist seit 2006 immerhin um gut vier Prozentpunkte gesunken, liegt aber anteilig immer noch bei rund 53 Prozent.

Größer geworden ist die sogenannte „Idealversorgungslücke“, welche die Forscher ermitteln, indem sie alle Haushalte virtuell in die passendste Wohnung ihrer Stadt „umziehen“ lassen. Selbst in diesem Szenario würde es für 18,2 Prozent der Haushalte keine leistbare Unterkunft geben. „Bundesweit umfasste das strukturelle Versorgungsdefizit über 1,5 Millionen Wohnungen, die selbst bei angenommener bester Verteilung für eine leistbare und angemessene Wohnversorgung in den Großstädten fehlten“, erklärt Stadtsoziologe Holm.

Im fünf- oder sechsstelligen Bereich liegen die Defizite an bezahlbaren Wohnungen in den Metropolen Berlin, Hamburg, München und Köln. Aber auch in mittleren und kleineren Großstädten passt in die „Idealversorgungslücke“ oft eine vier- bis fünfstellige Zahl.

Luftaufnahme vom Tempelhofer Ufer in Berlin

Dabei fehlen vor allem kleine und günstige Unterkünfte. Im Jahr 2006 hätten nach Berechnung der Forschenden noch über 1,7 Millionen Haushalte mit Wohnungen unter 10 Euro pro Quadratmeter (bruttowarm) versorgt werden können. 2018 waren es nur noch 1,2 Millionen Haushalte – ein Rückgang um mehr als 30 Prozent! Im gleichen Zeitraum stieg das Angebot an Wohnungen, die mehr als 15 Euro bruttowarm kosten, um über 535.000.

Wirtschaftliche Probleme sind übrigens nicht unbedingt ein Schutz vor steigenden Mieten. Auch in Städten mit unterdurchschnittlicher Lohnentwicklung ließen sich erhebliche Probleme mit steigenden Wohnungskosten nachweisen.

Für Andrej Holm gibt es mehrere Möglichkeiten, um die prekäre Situation zu verbessern. Neben mietrechtlichen Instrumenten plädiert er für verstärkte Anstrengungen im Bereich sozialer und gemeinnütziger Wohnungsbau. Daneben spiele die Einkommenssituation der Mietenden eine entscheidende Rolle. Ohne wirksame Maßnahmen zur Beseitigung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors sei eine soziale Wohnversorgung in den Großstädten nicht zu gewährleisten, meint der Stadtsoziologe.

Die Studie „Die Verfestigung sozialer Wohnversorgungsprobleme“ kann auf den Seiten der Hans-Böckler-Stiftung kostenlos heruntergeladen werden. Sie enthält spezifizierte Daten zu 77 deutschen Großstädten.