Drei Erdteile in einer Schale

Bei Prunkgeschirr handelt es sich um mehr als Ess- und Serviergerät. Die kostbaren Stücke erfüllten vor allem repräsentative Zwecke: Sie demonstrierten Macht und Reichtum. Neben Herrschern, Zünften und seit dem späten Mittelalter reichen Bürgern, besaß auch der Rat vieler Städte ein sogenanntes „Ratssilber“. Auch wenn Schaugeschirre hauptsächlich als Zierstücke dienten, konnten Schalen wie die Erdteil-Schale, die sich im Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund befindet, bei festlichen Anlässen zum Anbieten von Süßwaren zum Einsatz kommen.

Die Erdteil-Schale wurde im Jahr 1600 in Münster von dem Meister Johann Potthoff gefertigt, welcher 1587 in die dortige Goldschmiedegilde aufgenommen wurde. Die aus vergoldetem Silber gefertigte Schale hat einen Durchmesser von 23,5 cm und wiegt 295 Gramm. Im Zentrum befindet sich eine kreisrunde Scheibe mit eingravierten Initialen, einem unbekannten Wappen sowie dem Wappen der Familie Biscopink zu Kücklink.

Hauptmerkmal sind die drei Brustbilder, die um die Scheibe in der Mitte angeordnet sind und von flachen Mulden umringt werden. Die Brustbilder stellen die Personifikationen der im Mittelalter bekannten Erdteile dar, wodurch die Schale auch zu ihrem Namen kommt. Asien wird dabei durch einen bärtigen Mann verkörpert; Europa als eine Frau mit Diadem; und ein weiterer Mann steht für Afrika.

Dies ist bemerkenswert, weil Amerika zur Entstehungszeit der Schale bereits seit über hundert Jahren bekannt war, wie auch die Erkenntnis, dass es sich dabei um einen eigenständigen Kontinent handelt. Vermutlich beruht die Darstellung der drei Erdteile also auf einer älteren grafischen Vorlage aus dem Mittelalter. Allegorische Darstellung der drei Erdteile dieser Art waren tief in der mittelalterlichen Vorstellungswelt verwurzelt und repräsentierten nicht nur geografisches Wissen, sondern waren von religiösen und symbolischen Vorstellungen geprägt.

Aus christlicher Perspektive geht die Dreiteilung der Erde auf das Alte Testament zurück, wo die drei Erdteile nach der Sintflut von Noahs Söhnen besiedelt werden. Bereits auf frühmittelalterlichen Weltkarten werden die drei Erdteile um die Heilige Stadt Jerusalem angeordnet, die den Mittelpunkt der Welt darstellt. Darüber hinaus kommt der Zahl Drei in der christlichen Überlieferung eine wichtige symbolische Bedeutung hinzu. Es gibt die drei Weisen Könige aus dem Morgenland, drei Kreuze auf dem Berg Golgatha und die Dreifaltigkeit Gottes.

In der christlichen Kunst war die allegorische Darstellung einer dreigeteilten Welt sehr beliebt. So wurden beispielsweise die Heiligen Drei Könige bereits in der Kunst des 12. Jh. als Repräsentanten der drei Erdteile dargestellt. Caspar stand für Asien, Melchior für Europa und Balthasar für Afrika. Dieses Motiv wurde im Mittelalter immer wieder aufgegriffen und fand seinen Höhepunkt in der Renaissance. Aufgrund der christlichen Heilsgeschichte steht Asien in der Reihenfolge der Erdteile an erster Stelle: das Paradies, der Berg Sinai als auch das Heilige Land wurden in Asien verortet. Die Bedeutung wurde aus materieller Perspektive verstärkt, da die meisten in Europa bekannten Luxusgüter wie Gewürze, Öle, Seide und Weihrauch aus dem Osten stammten. Diese Vorstellungen bildeten auch die Begründungen für Pilgerfahrten nach Palästina und später die Kreuzzüge.

Die sich mit dem frühen 15. Jh. durchsetzende Erkenntnis über die Existenz eines vierten Kontinents, stellte einige Gelehrte zwar vor gewisse Probleme (die Bibel galt als autoritative Quelle allen Wissens), doch aus künstlerischer Perspektive brachte die Vergrößerung der Erdteile von drei auf vier neue ästhetische Ausdruckmöglichkeiten mit sich. Dies führte vom späten 16. bis zum 18 Jahrhundert zu einer Konjunktur in der europäischen Kunst. Die Erdteilallegorien wurden um Details und Motive erweitert, die die europäische Perspektive auf die anderen Kontinente und die Welt widerspiegelten. So wurden den Kontinenten Attribute zugeschrieben, die sich auf Erfahrungen der kolonialen Expansion beziehen und eine globale Hierarchie darstellen sollten.

Im späten 18. Jahrhundert kommen die Erdteilallegorien zu einem Ende. Als Gründe dafür werden die veränderten politischen Konstellationen, aber auch das vermehrte geografische Wissen der Zeit gesehen. Bei der Erdteil-Schale handelt es sich um ein Beispiel für meisterhafte Goldschmiedekunst aus der Zeit um 1600, die gleichzeitig Einblicke in das Weltbild des mittelalterlichen Europas gibt. Außerdem zeigt sie, dass sich bestimmte Motive in der Kunst hielten, auch wenn sie dem aktuell herrschenden Weltbild nicht mehr entsprachen.