Ab Mitte April soll in Deutschland keine Atomenergie mehr produziert werden. Damit endet auch die Geschichte des Atomkraftwerks Emsland, das 1988 ans Netz ging und immer wieder Anlass zu kontroversen Diskussionen gab. Zwei Beiträge unseres Redaktionspartners, des Stadtarchivs in Lingen, beleuchten die Planungen und den Bau der Anlagen sowie die Entstehung und Entwicklung der Antiatomkraftbewegung.
Das Kernkraftwerk Lingen ging im Januar 1977 wegen Problemen an den Dampfumformern vorläufig vom Netz. Anfang 1979 fiel die Entscheidung, den nuklearen Teil der Anlage endgültig stillzulegen. Pläne für ein zweites Kernkraftwerk in Lingen gab es aber schon vor 1979. Bereits 1973 spielte man öffentlich mit der Möglichkeit eines zweiten Kernkraftwerks. Seit Monaten kursierende Gerüchte, dass die VEW (Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen) zwei weitere Kernkraftblöcke von je 1300 MW am Standort Lingen plane, bestätigten sich im Dezember 1977. Ebenso waren zwei Kernkraftblöcke in Meppen geplant.
Das für beide Standorte erforderliche Kühlwasser überstieg allerdings die Kapazitäten der Ems. Es sollte bei niedrigem Wasserstand aus einem Speicherbecken kommen, das in Geeste angelegt werden sollte. Insgesamt gab es fünf Vorschläge, das Becken nördlich oder südlich von Geeste anzulegen. In Geeste stieß das Projekt auf breite Kritik. Noch im Dezember 1977 lehnte der Gemeinderat Geeste das Speicherbecken einstimmig ab. Dennoch wurde nun ein Raumordnungsverfahren für ein für vier Kernkraftwerke ausgelegtes Speicherbecken eingeleitet. Ein in diesem Rahmen 1979 bestelltes ökologisches Gutachten rechnete dann allerdings nur noch mit zwei Kernkraftwerken.
Schließlich setzte sich die südliche Variante im Biener und Geester Sand durch. Zu diesem Zeitpunkt hatte die VEW bereits einen Großteil der Fläche von den betroffenen Eigentümern kaufen können – teils für den vierfachen Marktpreis. Ende 1981 gründeten VEW und Elektromark die Tochtergesellschaft VEW-Elektromark Speicherbecken Geeste oHg. Die Bezirksregierung (die das Becken rechtlich als Talsperre einordnete) erteilte im November 1982 die Baugenehmigung. Fast ein Jahr lang wurden 230 ha Kiefernwald abgeholzt. Als ökologischer Ausgleich wurden 115 ha landwirtschaftliche Fläche aufgeforstet und nördlich des Sees ein Feuchtbiotop eingeplant.
Im August 1983 begannen dann die eigentlichen Bauarbeiten. Der Sandaushub diente der Errichtung eines 15 m hohen und 5,8 km langen Ringdammes. Der Grund wurde asphaltiert und Anfang 1987 schließlich das Becken mit Wasser gefüllt. Der Wasserstand liegt bis zu 12,5 m über dem des nahegelegenen Dortmund-Ems-Kanals. Bei einem Gesamtvolumen von 23,4 Millionen Kubikmeter können im Bedarfsfall durch ein Pumpwerk bis zu 18 Millionen Kubikmeter Kühlwasser in den Kanal und somit dem Kernkraftwerk zugeleitet werden. Mit einem Hotel und der Schaffung von Freizeit- und Sportmöglichkeiten wurde das Speicherbecken auch touristisch erschlossen. 1988 wurde es seiner Bestimmung übergeben.
Von den ursprünglich vier geplanten Kernkraftwerken wurde letztlich nur eines realisiert. Bereits im Oktober 1977 wandte sich die VEW an die Stadtverwaltung. Man wolle die Errichtung weiterer Kraftwerke in Lingen jetzt forcieren, sei auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück und favorisiere die freie Fläche im Industriepark zwischen dem Chemiewerk Bärlocher und dem Elektrostahlwerk Benteler zur Errichtung von zwei neuen Kernkraftwerken. VEW und Elektromark gründeten gemeinsam die Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH (KLE), die im August 1978 beim Land den Bau und Betrieb des ersten Kernkraftwerks beantragte. Es folgte ein umfangreiches Genehmigungsverfahren. Im März 1982 stimmte der Stadtrat nach langer Diskussion, aber mit großer Mehrheit dem Bebauungsplan zu und im August erteilte das niedersächsische Sozialministerium die erste Teilerrichtungsgenehmigung.
Danach startete eine fast sechsjährige Bauphase. Mit einer Investitionssumme von 5,8 Milliarden DM – anfangs war noch von nur 3 Milliarden die Rede gewesen – war es das teuerste Bauprojekt der Region und mit rund 3.000 Beschäftigten die größte Baustelle Norddeutschlands. So entstand auf einer Grundfläche von rund 36 Hektar das Kernkraftwerk Emsland. Ausgestattet mit einem Druckwasserreaktor der Konvoi-Baureihe und 193 Brennelementen, verfügte es über eine Leistung von 1300 MW und einer Jahresproduktion von rund 11,5 Milliarden Kilowattstunden. Das Verwaltungsgebäude wurde im November 1987 in Anwesenheit von Bundesumweltminister Töpfer in Betrieb genommen. Im April 1988 speiste das Kernkraftwerk erstmals Strom ins Netz, im Mai kam auch Ministerpräsident Albrecht zu Besuch und am 20. Juni fand die offizielle Schlüsselübergabe statt.
Im Jahr 2000 fusionierte die VEW mit RWE, Lingen ist seitdem RWE-Standort. Im selben Jahr wurde die Genehmigung zur Errichtung eines Zwischenlagers für abgebrannte Brennelemente erteilt, das Lagergebäude wurde Ende 2002 in Betrieb genommen. 2014 stieg die Kraftwerksleistung durch den Austausch der Niederdruckturbine auf 1406 MW. Insgesamt kam es – Stand 31.8.2022 – im Kernkraftwerk Emsland zu 171 meldepflichtigen Ereignissen. Gemeinsam mit den beiden anderen Konvoi-Anlagen Isar 2 und Neckarwestheim 2 ist das Kernkraftwerk Emsland das letzte, das im Rahmen des deutschen Atomausstiegs vom Netz genommen wird. Ursprünglich für Ende 2022 geplant, wurde das Ausstiegsdatum zuletzt auf spätestens Mitte April 2023 verschoben.