Die Geigerin Francesca Dego würdigt Ferruccio Busoni im Jahr seines 100. Todestages gleich doppelt: Nach der Aufnahme seines Violinkonzertes op.35a, das sie neben dem ungleich berühmteren von Johannes Brahms präsentierte, stellt sie nun mit der Pianistin Francesca Leonardi die wenig bekannten Sonaten für Violine und Klavier vor.
Fühlte sich Ferruccio Busoni als Deutscher oder Italiener? Verstand er sich als Klaviervirtuose oder eher als Komponist – oder gar vorwiegend als Arrangeur und musikalischer Übersetzer? Sah er sich im permanenten Austausch mit seinen Idolen Bach, Liszt und Brahms oder war er doch in erster Linie ein Kind seiner eigenen Zeit? All diese Fragen stellen sich mit Blick auf den 1866 in Empoli geborenen und 1924 in Berlin verstorbenen Musiker, doch beantworten lassen sie sich nicht – oder wenigstens nicht eindeutig.
Seine erste Klaviersonate aus dem Jahr 1888 wäre ohne Johannes Brahms kaum denkbar und geht doch ganz eigene Wege. Ihre Melodien fließen unaufhaltsam dahin, bleiben aber kaum im Gedächtnis haften, weil sie nur Zwischenstationen einer musikalischen Bewegung sind, die allerdings eine beachtliche Dynamik und Sogwirkung entfaltet.
Die zehn Jahre später entstandene und kurz darauf überabeitete Sonate in e-moll ist noch schwerer zu fassen. Sie kreist um einen in der Werkmitte platzierten Choralgesang, der sich im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach findet, vermutlich aber gar nicht aus der Feder des Leipziger Thomaskantors stammt. Die formale Anlage hat Busoni dagegen von Franz List übernommen, indem er das gesamte, hochkomplexe musikalische Geschehen in einem einzigen überdimensionierten Satz ablaufen lässt. Der sensitiven, perfekt aufeinander abgestimmten Interpretation von Francesca Dego und Francesca Leonardi ist es zu verdanken, dass der Hörer im Wechselspiel der originellen Einfälle, Anregungen und Zitate nicht den Faden verliert und einem faszinierenden kammermusikalischen Dialog bis in die kleinsten Verästelungen folgen kann.
Den Abschluss des Albums bilden die vier Bagatellen, die Busoni 1888 für den jungen Egon Petri schrieb, in dessen Mutter er leidenschaftlich verliebt war. Das Menuett „aus der Zopfzeit“, zwei Tänze und ein wüster Kosakenritt bilden ein launiges Kontrastprogramm zu den schwergewichtigen Violinsonaten.
Ferruccio Busoni: Sonaten für Violine & Klavier Nr.1 & 2, Bagatellen op.28, Chandos