Ein Jahr ohne Haupthahn

Felix könne vielleicht Komponist werden, doch für seine Schwester dürfe die Musik „stets nur Zierde“ und allenfalls noch „Bildungsmittel“ oder eine Art „Grundbaß“ ihres Lebens sein, bestimmte Abraham Mendelssohn im Jahr 1828. Die hochbegabte Tochter war allerdings nicht gewillt, sich auf das vorbestimmte Leben als Hausfrau und Mutter zu beschränken. Die junge Pianistin Sophia Weidemann und die Sprecherin Tinka Kleffner stellen Fanny Hensels Klavierzyklus „Das Jahr“ (1841) in spannende biographische Zusammenhänge.

„Wir sind Alle recht gut, so lange Du nicht da bist, aber von da an taugen wir wenig. Du bist eine Gattung Haupthahn; an Dir ist was, an uns schon weniger“, schrieb die geborene Fanny Zippora Mendelssohn und getaufte Fanny Cäcilie Mendelssohn Bartholdy an den Bruder, der sich gerade anschickte, einer der bekanntesten Komponisten seiner Zeit zu werden. Aus den Zeilen spricht die lebenslange Sympathie und Bewunderung, aber auch die Unzufriedenheit, im Schatten und der Abhängigkeit bevormundender Männer zu stehen. So ließ die junge Frau den Diplomaten und Schriftsteller Carl Klingemann wissen: „Daß man übrigens seine elende Weibsnatur jeden Tag, auf jedem Schritt seines Lebens von den Herren der Schöpfung vorgerückt bekömmt, ist ein Punkt, der einen in Wuth, u. somit um die Weiblichkeit bringen könnte, wenn nicht dadurch das Uebel ärger würde.“

Diese und andere Brief- und Tagebuchsequenzen, die von Tinka Kleffner pointiert, lebendig und betont ironisch rezitiert werden, werfen aussagekräftige Schlaglichter auf das schwierige persönliche und gesellschaftliche Umfeld, durch das sich Fanny Hensels Kompositionen ans Licht der Öffentlichkeit kämpfen mussten, auch wenn ihr Ehemann, der Maler Wilhelm Hensel, die künstlerischen Ambitionen seiner Frau durchaus unterstützte. Auf biographische Hilfe oder die Forderung nach posthumer Wiedergutmachung sind die Werke aufgrund ihrer musikalischen Qualitäten aber nicht angewiesen. Allein „Das Jahr“ gehört zu den bemerkenswertesten Klavierzyklen des 19. Jahrhunderts.

Die Inspiration durch das ersehnte und dann endlich erlebte, geliebte und bewunderte Italien reicht ebenfalls kaum hin, um diesen faszinierenden, vielschichten und nie berechenbaren Jahreskreislauf zu erklären. Sophia Weidemann lässt sich denn auch mehr vom „Reichtum der Harmonie“ und der „Vielfalt der Emotionen“ leiten, um einen im wahrsten Sinne des Wortes wunder-vollen, in immer neues Licht getauchten Bilderborgen zu entwerfen, der für jeden Monat ganz eigene, unverwechselbare Charakteristika parat hält.

Gut also, dass der „Haupthahn“ diesmal in der brieflichen Distanz bleibt. Noch besser, dass Fanny Hensels „Das Jahr“ langsam, aber stetig in den Rang eines regelmäßig rezipierten Klassikers aufrückt.

Fanny Hensel: Das Jahr und Briefe und Tagebucheinträge von und an Fanny Hensel. Eine musikalisch-literarische Begegnung, Genuin