Ein Teppich für das Ende der Welt

Im französischen Angers hängt der größte Wandteppich, der jemals in Europa gewebt wurde: „La tenture de l’ Apocylpse“ maß ursprünglich imposante 140 m in der Länge. Darauf zu sehen sind 84 Szenen, welche die Offenbarung des Johannes wiedergeben, u.a. Johannes‘ Christus-Vision, die Ankunft der apokalyptischen Reiter oder den Fall von Babylon.

Ludwig I. von Anjou, Bruder des Königs Karl V., gab das Werk 1375 in Auftrag. Ein zeitaufwendiges und kostspieliges Unterfangen. Für die Vorlagen beauftragte er den Maler Jan Bondol. Beaufsichtigt und koordiniert wurden die Arbeiten vom Webermeister Nicolas Bataille. Der Teppich entstand im Pariser Atelier von Robert Poisson. Die Ausführung gilt als Meisterleistung und außergewöhnliches Zeugnis der Farbenpracht mittelalterlicher Tapisserien: Detaillierte Abbildungen, feinste Webstrukturen. Sogar die Rückseite ist derartig hochwertig gearbeitet, dass alle abgebildeten Szenen statt der üblichen Fäden zu sehen sind.

Warum der Wandteppich in Auftrag gegeben wurde, ist bis heute ein ungelöstes Rätsel. Denn ausreichend Platz für eine angemessene Präsentation war in Angers, der heutigen Partnerstadt von Osnabrück, nicht vorhanden. Bekannt ist hingegen, dass das Kunstwerk anlässlich besonderer Zeremonien im Freien enthüllt wurde. Ein dokumentierter Fall ist die Hochzeit von Ludwig II. von Angers und Yolande von Aragon im Jahr 1400.

Seit 1480 befindet sich der Wandteppich im Besitz der Kathedrale von Angers. 1782 versuchten die Domherren, das Geschenk von René d’Anjou zu veräußern. Der Versuch blieb erfolglos, jedoch verschwanden einige Szenen: Im Zuge der französischen Revolution wurde der Teppich zerschnitten, um die Stoffbahnen als Planen und Decken zu verwenden.

Mitte des 19. Jahrhunderts sorgte der Bischof von Angers für eine aufwendige Restaurierung des Kunstwerks. Seit 1954 schmückt der Wandteppich, der immer noch 103 Meter in der Länge und 4,5 Meter in der Höhe misst, eine öffentlich zugängliche und eigens hierfür gebaute Galerie, die sich im Schloss von Angers (LINK zur Homepage) befindet.